Der Ehegatte erbt neben Kindern immer die Hälfte. Wirklich?

Heirat während Wohnsitz im Ausland kann den Erbanspruch reduzieren

Viele Paare denken: „Mit der Eheschließung ist mein Erbrecht gesetzlich abgesichert. Wenn mein Ehepartner stirbt, bin ich dessen Erbe, auch ohne Testament.“

Nun ja, zum einen kommt es darauf an, welche weitere Verwandte der verstorbene Ehegatte hinterlässt. Existieren Kinder, Eltern oder auch nur Geschwister, ist der überlebende Ehegatte – auch wenn deutsches Erbrecht anwendbar ist – nicht automatisch Alleinerbe, sondern nur Mitglied einer Erbengemeinschaft, muss sich den Nachlass also mit den Kindern, Eltern oder Geschwistern des Verstorbenen teilen.

Nach deutscher gesetzlicher Erbfolge erbt der Ehegatte nämlich nicht immer automatisch alles, sondern neben den weiteren gesetzlichen Erben des Verstorbenen lediglich eine bestimmte Quote, je nach Verwandtschaftsgrad. Diese gesetzliche Erbquote des Ehegatten ist erstaunlich niedrig. Neben gemeinsamen Kindern nämlich zum Beispiel nur ein Viertel (gibt es keine Kinder, dann ist die Erbquote des überlebenden Ehegatten höher; Details zum gesetzlichen Ehegattenerbrecht und den gesetzlichen Erbquoten hier).

Waren die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand (also ohne Ehevertrag) verheiratet, so erhöht sich dieses Viertel gemäß § 1371 BGB um ein weiteres Viertel. Im Ergebnis erhält der Ehegatte in dieser Konstellation also die Hälfte des gesamten Nachlasses. Hat der verstorbene Ehegatte zuletzt in Deutschland gelebt (genauer gesagt seinen gewöhnlichen Aufenthalt), so scheint damit die Lage auf den ersten Blick klar: Denn gemäß EU-Erbrechtsverordnung gilt für einen Erbfall das materielle Erbrecht des Staates, in dem der Erblasser vor seinem Tod den gewöhnlichen Aufenthalt (habitual residence) hatte, also deutsches Erbrecht. Also: 50%-Erbquote für den überlebenden Ehegatten. Oder?

Erbrechtler aufgehorcht!

Das zweite Viertel des Ehegatten-Erbanspruchs (§ 1371 BGB) resultiert gar nicht aus dem Erbrecht, sondern aus dem Familienrecht! Deshalb kann die gesetzliche Erbquote für den überlebenden Ehegatten ganz anders aussehen, wenn die Ehepartner zu Beginn ihrer Ehe zum Beispiel in England oder Spanien (oder sonstwo) gelebt haben.

Der Bundesgerichtshof hat im Jahr 2015 nämlich endgültig entschieden (Beschluss vom 13.05.2015 – IV ZB 30/14), dass es sich bei § 1371 BGB um eine güterrechtliche Regelung (also Familienrecht) handelt. Welche Rechtsordnung im Erbfall hierfür also greift, richtet sich nicht mehr nach dem internationalen Erbrecht (also der EU-Erbrechtsverordnung), sondern nach internationalem Güterrecht. Dieses wiederum knüpft etwa bei deutsch-britischen oder deutsch-spanischen Paaren an den Ort an, an dem die Ehepartner bei Eheschließung ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten.

Heiratet also zum Beispiel ein deutsches Ehepaar (egal wo), verbringt aber die ersten beiden Jahre seiner Ehe auf Mallorca, bevor es dann wieder dauerhaft nach Deutschland zieht, so erbt der Ehepartner Jahrzehnte später statt der Hälfte nur ein Viertel, ganz gleichgültig wie viele Jahre ihres Lebens das Paar gemeinsam in Deutschland verbracht hat. Das zweite Viertel hat lässt sich dann ggf. nur aus dem spanischen Recht herleiten.

Wenn es in solchen Konstellationen zum Erbstreit kommt, kennen sich in aller Regel weder die deutschen Anwälte noch das hiesige Gericht im ausländischen Recht aus. Daher wird es für alle Beteiligten langwierig, teuer und unsicher.

Zur Klarstellung: All dies betrifft nur die Fälle, in denen der Verstorbene kein Testament erstellt hat. Gibt es ein Testament, sind die gesetzlichen Erbquoten für den Erbfall selbst nicht relevant, denn dann gilt natürlich, was im Testament steht (in der Regel Alleinerbeneinsetzung des Ehegatten). Allerdings kann die oben diskutierte Frage indirekt doch wieder relevant werden, wenn es um Pflichtteilsansprüche geht.

Fazit: Deutsche Rechtsanwälte für Erbrecht dürfen nicht vorschnell die BGB-Ehegatten-Erbquoten als immer zutreffend annehmen, bloß weil die Eheleute zuletzt ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatten. Vielmehr muss man als Erbrechtsanwalt seit 2015 stets fragen, wo die Eheleute zum Zeitpunkt der Heirat ihren gemeinsamen Wohnsitz hatten. Wenn das nicht Deutschland war, muss man einen internationalen Familienrechtler ins Boot holen.

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Wir arbeiten bei der Erstellung von Testamenten seit Jahren mit Fragebögen und Checklisten. Besonders wichtig sind diese für internationale Fallkonstellationen. Wer sich bei der Testamentsgestaltung beraten lassen möchte, findet diese Mandantenfragebögen auf der Kanzleiwebsite in deutscher und englischer Fassung hier:

Weitere Informationen finden sich auch in unseren beiden Broschüren zum deutschen und internationalen Erbrecht:

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