Schuldner flüchtet nach England: Tipps für deutsche Gläubiger

Achtung: Siehe das Update zu diesem Beitrag wegen Rechtsänderung im UK Insolvency Act im Jahr 2016.

Wie verhindert man, dass sich ein deutscher Schuldner der Zwangsvollstreckung durch Flucht nach England entzieht?

Es ist ein bereits seit mehreren Jahren bekanntes Phänomen: deutsche Unternehmer und zunehmend auch Verbraucher, denen die Schulden in Deutschland über den Kopf wachsen, ziehen kurzfristig nach England um und kurz darauf wird dort ein Insolvenzverfahren eröffnet. Für den Schuldner liegt trotz der saftigen Gebühren, die für ein englisches Insolvenzverfahren anfallen können, der Anreiz vor allem in der schnellen Restschuldbefreiung: Bereits ein Jahr nach der Verfahrenseröffnung steht einem „fresh start“ ohne Schulden im Normalfall nichts mehr im Wege, gegenüber der sechsjährigen Wohlverhaltensperiode nach deutschem Insolvenzrecht also ein erheblicher Vorteil. Die Gläubiger in Deutschland erfahren von dem Umzug nach Großbritannien zumeist erst, wenn das Verfahren bereits eröffnet ist. Damit stellt sich zunächst einmal die Frage:

Betrifft mich als deutschen Gläubiger das Insolvenzverfahren in Großbritannien überhaupt?

Die Antwort darauf ist eindeutig: ja! In Großbritannien gilt, ebenso wie in Deutschland, die Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO). Diese verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, ein Insolvenzverfahren, das in einem anderen Mitgliedstaat wirksam eröffnet wurde, mit allen Wirkungen anzuerkennen, die das Verfahren im Eröffnungsstaat hat. Für den deutschen Gläubiger heißt das: wenn in Großbritannien eine Restschuldbefreiung erteilt worden ist, kann man normalerweise auch in Deutschland seine Forderung nicht mehr durchsetzen. Zwar gilt auch hier: keine Regel ohne Ausnahme. Unter engen Voraussetzungen ist es auch möglich, die Anerkennung des britischen Verfahrens zu verhindern. Aber: diese Strategie ist riskant! Die EurInsVO ermöglicht es den deutschen Gerichten, ein ausländisches Insolvenzverfahren nicht anzuerkennen, wenn ein Verstoß gegen den so genannten „ordre public“ vorliegt. Das heißt, der Gläubiger muss nachweisen, dass die Anerkennung mit den Grundprinzipien des deutschen Rechts oder verfassungsrechtlich garantierten Rechten widerspricht. In der Vergangenheit haben manche deutsche Gerichte versucht, den „Insolvenztourismus“ nach Großbritannien und Frankreich durch eine sehr großzügige Auslegung dieser Klausel zu stoppen. Zum Teil wurde die Anerkennung in Deutschland allein deswegen verweigert, weil aus deutscher Sicht die englischen Gerichte nicht zuständig waren. Aber: diese Praxis ist europarechtswidrig, da deutsche Gerichte nicht kontrollieren dürfen, ob das Insolvenzverfahren in England zu Recht eröffnet worden ist! Selbst wenn noch so offensichtlich ist, dass die Insolvenzeröffnung in England nur durch betrügerische Manipulationen erreicht worden ist, spekuliert man daher auf die fehlende Rechtskenntnis der Gerichte, wenn man sich auf eine Nichtanerkennung in Deutschland verlässt. Ganz anders sieht das aus, wenn man als Gläubiger gar keine Möglichkeit hatte, sich in dem ausländischen Verfahren zu beteiligen. Wenn das Recht der Gläubiger auf rechtliches Gehör verletzt wurde, ist sogar nach Ansicht des EuGH (Urteil vom 2. 5. 2006 – C-341/04) eine Verweigerung der Anerkennung möglich.

Wenn also im Regelfall die Anerkennung des Verfahrens nicht zu verhindern ist, was kann man dann gegen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Großbritannien tun?

Am besten sollte man unterbinden, dass überhaupt ein Insolvenzverfahrens in Großbritannien durchgeführt wird. Dafür sollte man auf jeden Fall die Beteiligungsmöglichkeiten nutzen, die das britische Insolvenzrecht den Gläubigern bietet. Da es in Großbritannien vier unterschiedliche Arten des Insolvenzverfahrens gibt, hängt es von dem konkret gewählten Verfahren ab, auf welche Weise sich die Gläubiger am Verfahren beteiligen können. Eine Infobroschüre für Gläubiger bietet der staatliche Insolvency Service: Guide for Creditors

Wenn deutsche Verbraucher (meist mit Hilfe dubioser Dienstleister) ausschließlich zur schnellen Restschuldbefreiung nach England fliehen, sieht das Verfahren meist so aus: Der Schuldner gibt mit dem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens eine Liste mit den ihm bekannten Gläubigern und Schulden ab und behauptet, dass er seinen Lebensmittelpunkt in Großbritannien hat. Zum Teil werden die Gläubiger dann schon vor der endgültigen Entscheidung über die Insolvenzeröffnung informiert und angehört – auch die englischen Gerichte sind mittlerweile hellhörig, wenn deutsche Schuldner kurz vor der Insolvenzantragsstellung nach England flüchten. Selbst wenn man aber erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den vorläufigen Insolvenzverwalter informiert wird, kann man die fehlende Zuständigkeit noch angreifen. Die englischen Gerichte können den Eröffnungsbeschluss ohne jede zeitliche Beschränkung (selbst wenn das Verfahren schon abgeschlossen war!) wieder aufheben, wenn sich herausstellt, dass der Schuldner den Lebensmittelpunkt in England nur vortäuscht. Kann man als Gläubiger ernsthafte Anzeichen dafür liefern, müssen die Gerichte die Angaben des Schuldners auch nachprüfen.

Es lohnt sich also, schon im englischen Insolvenzverfahren gegen die Zuständigkeit der englischen Gerichte zu protestieren, wenn der Schuldner faktisch seinen Lebensmittelpunkt gar nicht in England hat. Worauf ist dabei zu achten?

Maßgeblich ist wieder einmal die EuInsVO, die auf den „Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen“ des Schuldners abstellt. Es kommt darauf an, wo der Schuldner aus Sicht Dritter üblicherweise wirtschaftlich agiert. Dafür müssen alle möglichen Umstände, wie z.B. wo der Schuldner sich hauptsächlich aufhält, wo er arbeitet, von wo aus er seine Geschäfte abwickelt, berücksichtigt werden. Britische Gerichte verlangen in der Regel, dass der Schuldner im Zeitpunkt der Insolvenzantragsstellung bereits seit mindestens 6 Monaten in Großbritannien lebt. Besonders kritisch wird die Zuständigkeit geprüft, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Schuldner von vornherein nur für die Dauer des Insolvenzverfahrens nach England gezogen ist und eine Rückkehr nach Deutschland schon fest geplant ist. Man hat daher gute Chancen, die Verfahrenseinstellung zu erreichen, wenn sich der Schuldner nachweislich kaum in seiner angemieteten Wohnung in England aufhält und auch den Gläubigern seine neue Adresse in Großbritannien nicht mitgeteilt hat. Auf der anderen Seite bedeutet das: hat sich der Schuldner tatsächlich in Großbritannien niedergelassen und dort z.B. eine Arbeit aufgenommen, kann man gegen die Eröffnungsentscheidung kaum noch vorgehen. Dann schadet es auch nicht, dass der Schuldner gezielt wegen des schuldnerfreundlichen Insolvenzrechts umgezogen ist.

Diese Gefahr kann man unter Umständen vermeiden, wenn man dem Schuldner durch die Einleitung eines Insolvenzverfahrens in Deutschland zuvor kommt.

Auch umgekehrt gilt schließlich: englische Gerichte müssen auch ein deutsches Insolvenzverfahren anerkennen. In England kann daher kein Verfahren mehr eingeleitet werden, sobald ein Insolvenzverfahren in Deutschland wirksam eröffnet worden ist. Dafür reicht auch ein vorläufiges Insolvenzverfahren aus. Bei drohender Insolvenz ist also schnelles Handeln gefragt, wenn man sichergehen will, dass man nicht im englischen Insolvenzverfahren um seine Ansprüche kämpfen muss!

Weitere Informationen zum Thema hier: „Ablauf des UK Insolvenzverfahrens – aus Sicht des Gläubigers“

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