Handelskauf zwischen Deutschland und England: Welches Recht gilt und welches Gericht entscheidet?

Oft führen deutsche und britische Firmen Geschäfte durch, ohne einen formellen Vertrag zu schließen. Man bestellt einfach per eMail oder Fax, der Vertragspartner bestätigt, es wird geliefert und gezahlt. Oder manchmal eben auch nicht!

Falls bei einem solchen internationalen Geschäft etwas schief läuft (Ware kommt nicht, zu spät oder ist mangelhaft, Käufer zahlt nicht), dann fragen sich die Handelspartner in Deutschland und England oft zum ersten Mal, welches Recht auf die Geschäftsbeziehung überhaupt anwendbar ist (deutsches, englisches oder UN-Kaufrecht) und welche Gerichte international zuständig sind. Das anzuwendende Recht kann zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führen. So verjähren Zahlungsansprüche nach deutschem Recht in drei Jahren, nach englischem Recht dagegen erst in sechs Jahren (Details hier). Wie findet man also heraus, welcher Gerichtsstand gilt und welches nationale Recht diese Gericht anzuwenden hat?

Ein alltäglicher Beispielsfall: Die Firma Good-Seller Ltd (UK) verkauft und liefert Waren an die Viel-Kauf GmbH (Deutschland). Viel-Kauf GmbH zahlt nicht. Good-Seller Ltd frägt ihren englischen Solicitor, wo der Kaufpreis eingeklagt werden muss.

Für diese Zahlungsklage wären örtlich die deutschen Gerichte zuständig, da gemäß Europäischem Zivilverfahrensrecht (EuGVVO) ein Vertragspartner an dem Ort verklagt werden kann/muss,

(i) an dem er seine Hauptverwaltung bzw. –niederlassung hat ODER
(ii) an den die Ware geliefert wurde (Erfüllungsort).

 

Dies ist in unserem Fall beides Deutschland. Good-Seller Ltd müsste also vor dem Landgericht am Sitz des Käufers klagen. Eine wenig erfreuliche Auskunft, denn das bedeutet in der Praxis: Good-Seller Ltd muss zusätzlich zu den englischen Solicitors auch deutsche Anwälte beauftragen, in englischer Sprache korrespondieren, alle Dokumente und Schriftsätze teuer übersetzen lassen, für etwaige englische Zeugen im deutschen Zivilprozess einen Dolmetscher zahlen etc. Das schreckt extrem ab.

Aber es wird noch komplizierter: In diesem Prozess müsste das deutsche Landgericht inhaltlich (Juristen sagen „materiell“) englisches Recht anwenden. Das UN-Kaufrecht (auch: United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods, CISG) gilt zwischen Deutschland und England nicht, weil das Vereinigte Königreich (UK) das UN-Kaufrecht nicht ratifiziert hat (Liste der teilnehmenden Staaten hier). Das UN-Kaufrecht würde übrigens beim Thema Verjährung ohnehin nicht weiter helfen, da das CISG keine Aussagen zur Verjährung trifft. Nach deutschem internationalem Privatrecht (Rom-I-Verordnung) gilt bei Kaufverträgen das nationale Recht des Verkäufers. Somit gilt im Beispielsfall das englische materielle Recht, somit auch die englischen Verjährungsregeln, d.h. 6 Jahre ab Fälligkeit. Das Gerichtsverfahren wird somit noch teurer, weil der deutsche Richter englisches Recht anwenden muss, was in der Praxis oft die Einholung eines Rechtsgutachtens bedeutet. Dieses muss dann wieder – sofern es wie meist ein englischer Jurist erstellt – ins Deutsche übersetzt werden. Ein solcher Prozess freut alle beteiligten Anwälte und Übersetzer, die Parteien eher weniger.

FAZIT: Handelspartner sollten es dringend vermeiden, dass Gerichtsstand und anwendbares Recht auseinander fallen, was aber bei Geschäften zwischen England und Deutschland sehr häufig passiert, wenn die Parteien keine Vereinbarung zum anwendbaren Recht (applicable law) und der internationalen Gerichtszuständigkeit (jurisdiction) treffen. Hilfreiche Links auf diesen Websites der IHK hier und hier

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Unsere 2003 gegründete Kanzlei Graf & Partner ist auf grenzüberschreitende Rechtsfälle spezialisiert. Mitglied unserer Kanzlei ist die als UK Solicitor qualifizierte Kollegin Elissa Jelowicki, die bei der RAK München als Niedergelassene Europäische Rechtsanwältin registriert ist. Falls Sie bei einer britisch-deutschen Rechtsangelegenheit Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die deutschen Anwälte und Solicitors der Kanzlei Graf & Partner sowie die englischen Solicitors der Kanzlei Lyndales gerne zur Verfügung. Ihr Ansprechpartner ist Bernhard Schmeilzl, Rechtsanwalt & Master of Laws (Leicester, England).