Was machen diese zwei „Witnesses“ eigentlich genau?
Es ist verlockend, ein Testament zu fälschen und sich dadurch das gesamte Vermögen einer Person zu ergaunern. Der einfache Satz „Zu meinem Erben bestimme ich X“ genügt dafür. Um solche falschen Testamente zu verhindern, verlangen verschiedene Rechtsordnungen bestimmte Formerfordernisse, die erfüllt sein müssen, damit ein Testament wirksam ist. In Deutschland ist das die Vorschrift, dass ein Testament entweder vor dem Notar errichtet und von ihm beurkundet sein muss (sog. öffentliches Testament, obwohl das Testament dadurch natürlich nicht öffentlich einsehbar wird) oder aber vom Testamentsersteller vollständig eigenhändig geschrieben werden muss (privatschriftliches Testament), § 2247 BGB. Streiten sich später die (potentiellen) Erben darüber, ob das Testament tatsächlich vom Erblasser stammt, wird vom Nachlassgericht (oder vom Prozessgericht) ein Schriftsachverständiger beauftragt, der ein graphologisches Gutachten anfertigt. Zur verwandten Frage, ob ein Testament bei beginnender Demenz noch wirksam erstellt werden kann siehe Beitrag hier.
Briten und Amerikaner wollen nicht eigenhändig schreiben
Ganz anders löst dieses Echtheits-Beweisproblem das Common Law, also das im anglo-amerikanischen Rechtskreis geltende Erbrecht. Handschriftliche Testamente finden sich hier selten und sind – vor allem bei den dortigen Anwälten – verpönt. Im Common Law gilt als Grundprinzip das sogenannte „2 Witness Will“. Für England und Wales zum Beispiel ist dies konkret geregelt in Section 9 des Wills Act 1837, der folgenden Wortlaut hat:
Signing and attestation of wills
No will shall be valid unless—
(a) it is in writing, and signed by the testator, or by some other person in his presence and by his direction; and
(b) it appears that the testator intended by his signature to give effect to the will; and
(c) the signature is made or acknowledged by the testator in the presence of two or more witnesses present at the same time; and
(d) each witness either—
(i) attests and signs the will; or
(ii) acknowledges his signature, in the presence of the testator (but not necessarily in the presence of any other witness), but no form of attestation shall be necessary.
Ein englisches Testament ist also in aller Regel nicht hanschriftlich (obwohl das natürlich nicht verboten ist), sondern maschinengeschrieben bzw. ein Computerausdruck. Es muss vom Testator eigenhändig unterschrieben sein (Sonderregeln für Nottestamente einmal außen vor gelassen) und diese Unterschrift muss von mindestens zwei Zeugen „bestätigt“ werden, die gleichzeitig anwesend sein müssen. Was bedeutet das aber genau? Der Wortlaut des Paragraph 9 Wills Act 1837 lässt einige Fragen offen, zum Beispiel:
- Darf oder muss der Zeuge Kenntnis vom Inhalt des Testaments nehmen?
- Muss der Testator vor den Zeugen unterschreiben oder kann er bereits vorher unterschrieben haben?
- Darf jemand als Witness fungieren, der im Testament selbst bedacht wird?
- Muss der Witness seine Anschrift angeben?
Hierzu gibt es zahlreiche Entscheidungen der englischen Gerichte, die in diesem Beitrag nicht alle erläutert werden können. Zu den oben genannten vier praxisrelevanten Fragen hier in aller Kürze die Antworten:
Zu Frage 1) Nein, der Testator kann den Text des Testaments selbst abdecken, muss also den Inhalt des Testaments den Zeugen nicht mitteilen. Deshalb muss ein Witness streng genommen auch der englischen Sprache nicht mächtig sein, da die Aufgabe des Zeugen ja nur darin besteht, mit seiner Unterschrift zu bestätigen, dass es sich tatsächlich um die Unterschrift des Testamentserstellers handelt. Sofern der Zeuge versteht, was er da tut, ist die Bestätigung wirksam.
Zu Frage 2) Der Testator kann vorher bereits unterzeichnet haben. Wenn er vor den beiden Zeugen erklärt, „das ist meine Unterschrift“, so genügt das auch den Formerfordernissen.
Zu Frage 3) Ja, auch eine im Testament bedachte Person kann als Zeuge fungieren („competent witness“), das so bezeugte Testament ist also wirksam. Aber dieses Vorgehen ist höchst ungeschickt und wird in der Praxis vermieden, weil dieser Witness dadurch laut section 15 Wills Act 1837 seine Erbschaft (inheritance) oder sein Vermächtnis (legacy) verliert:
Gifts to an attesting witness to be void. If any person shall attest the execution of any will to whom or to whose wife or husband any beneficial devise, legacy, estate, interest, gift, or appointment, of or affecting any real or personal estate (other than and except charges and directions for the payment of any debt or debts), shall be thereby given or made, such devise, legacy, estate, interest, gift, or appointment shall, so far only as concerns such person attesting the execution of such will, or the wife or husband of such person, or any person claiming under such person or wife or husband, be utterly null and void, and such person so attesting shall be admitted as a witness to prove the execution of such will, or to prove the validity or invalidity thereof, notwithstanding such devise, legacy, estate, interest, gift, or appointment mentioned in such will.
Zu Frage 4) Die Adressangabe ist kein Wirksamkeitserfordernis, es ist aber sehr empfehlenswert, die vollständigen Namen und Anschriften der Zeugen anzugeben, falls es später zu einem Rechtsstreit über die Frage der Wirksamkeit des Testaments kommt.
In den USA ist die Rechtslage ähnlich, wobei man unbedingt beachten muss, dass jeder Bundesstaat seine eigenen Vorschriften zur Wirksamkeit eines Testaments erlässt. In den Details gibt es manchmal Unterschiede.
Was ist nun besser?
Als deutscher Anwalt sieht man das Zwei-Zeugen-Testament naturgemäß kritisch: Da das Common Law Testament maschinengeschrieben ist, besteht die große Gefahr, dass einzelne Seiten des Testaments später ausgetauscht werden, zumal – wie oben gesehen – die Zeugen ja nicht zwingend Kenntnis vom Inhalt des Testaments nehmen. Sie wissen also oft gar nicht, wer zum Erben eingesetzt wurde und können daher später auch nicht beurteilen, ob das Testament inhaltlich abgändert wurde. Die einzelnen Seiten – und englische Testamente sind meist viel länger als deutsche Testamente – müssen auch nicht miteinander verbunden oder gesiegelt werden. Eine Fälschung durch Austausch einzelner Blätter erscheint hier also recht einfach möglich, wenn das Testament nicht bei einem Anwalt (Solicitor) in Verwahrung gegeben wird.
Übrigens: Ein Deutscher kann stets ein handschriftliches, eigenhändiges Testament ohne Witnesses erstellen, auch wenn er oder sie dauerhaft in UK lebt. Zwar gilt die EU-Erbrechtsverordnung (EU Succession Regulation) im Vereinigten Königreich nicht, aber das englische Recht selbst ordnet in Section 1 Wills Act 1963 an, dass solche Foreign Wills (ausländische Testamente) unter bestimmten Voraussetzungen trotzdem in England und Wales als formwirksam („properly executed“ anerkannt werden:
General rule as to formal validity. A will shall be treated as properly executed if its execution conformed to the internal law in force in the territory where it was executed, or in the territory where, at the time of its execution or of the testator’s death, he was domiciled or had his habitual residence, or in a state of which, at either of those times, he was a national.
Wer sich für diesen Weg entscheidet, aber Vermögen (auch) in UK besitzt, sollte darauf achten, in seinem Testament auch die englische Terminologie des Erbrechts zu verwenden (Executor, Estate etc), damit das englische Nachlassgericht später keine Auslegungsprobleme hat.
Weitere Informationen zum englischen Erbrecht und dem Erfordernis eines englischen Erbscheins finden Sie in den Beiträgen der Rubrik „Erbrecht & Testament“ sowie in dem Beitrag „Muster-Testament bei Vermögen im Ausland“.
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Die 2003 gegründete Kanzlei Graf & Partner ist mit ihrer Abteilung für britisch-deutsche Prozessführung (GP Chambers) auf grenzüberschreitende Rechtsfälle spezialisiert, insbesondere auf deutsch-britische Wirtschaftsstreitigkeiten, Scheidungen und Erbfälle. Rechtsanwalt Schmeilzl und Solicitor Jelowicki sind Experten für deutsch-englisches sowie deutsch-amerikanisches Erbrecht und agieren auch in vielen Fällen als Nachlassabwickler (Executors & Administrators) für deutsch-britische oder deutsch-amerikanische Erbfälle.
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