Österreich und das in Deutschland erteilte EU-Nachlasszeugnis

Braucht man bei Erbfällen mit Vermögen in Österreich zusätzlich zum EU-Nachlasszeugnis einen Einantwortungsbeschluss oder nicht?

Der Erblasser war Deutscher, lebte in Deutschland und England, hatte aber auch ein Grundstück in Österreich, das die (deutschen) Miterben schnellstmöglich verkaufen wollten.

Deshalb beantragten die Erben (über einen deutschen Notar) ein Europäisches Nachlasszeugnis, denn dieses gilt ja dann sowohl in Deutschland als auch in Österreich, dafür ist es ja eingeführt worden. Anmerkung am Rande: In UK gilt es natürlich nicht, das ist für den Fall hier aber irrelevant.

Das deutsche Nachlassgericht hat Bedenken

Aber: Der deutsche Nachlassrichter hat Bedenken und schreibt:

„Die Erteilung eines EU-Nachlasszeugnisses ist nicht möglich, soweit dieses auch den in Österreich vorhandenen Grundbesitz betrifft. Nach österreichischem Recht erwerben die Erben den Nachlass erst mit gerichtlicher Einantwortung. Vorher steht ihnen lediglich eine Erwerbsaussicht zu. Deshalb soll das EU Nachlasszeugniss in diesen Fällen erst nach Einantwortung durch das Bezirksgericht (Verlassenschaftsgericht) in Österreich erteilt werden.“

Der deutsche Notar nimmt das hin und widerspricht nicht. Deshalb erteilt das deutsche Nachlassgericht im Ergebnis dann zwar ein Europäisches Nachlasszeugnis, aber mit dem Vermerk:

Das EU-Nachlasszeugnis ist beschränkt auf das im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vorhandene Vermögen des Erblassers

Erscheint schon vom Ansatz her seltsam, das der Anwendungsbereich eines Europäischen Erbscheins auf eine einzige Nation beschränkt sein soll. Aber gut, der Nachlassrichter wird es schon wissen.

Antrag auf Einantwortung in Österreich

Die Erben beantragen nun also die vom deutschen Nachlassgericht geforderte Einantwortung des Grundstücks in Österreich. Aber siehe da: Der damit beauftragte Notar in Österreich sieht das alles völlig anders: EU-Recht gehe natürlich vor und ein EU-Nachlasszeugnis gilt sehr wohl auch in Österreich – und zwar ohne vorherigen Einantwortungsbeschluss. Ausführlich klingt das dann so:

Ich kann die Rechtsansicht des deutschen Amtsgerichtes nicht nachvollziehen. Es besteht in der vorliegenden Fallkonstellation keine Möglichkeit, in Österreich einen Einantwortungsbeschluss zu erwirken.

Durch die EU-Erbrechtsverordnung wurde das Internationale Privatrecht in erbrechtlicher Hinsicht europaweit vereinheitlicht und kann es nunmehr (mit Ausnahme der subsidiären Zuständigkeit des Art 10 Abs 2 leg cit, welche bei einem dt. Staatsbürger jedoch nicht einschlägig sein kann) innerhalb der teilnehmenden Mitgliedsländern der Europäischen Union nur mehr ein einheitliches Abhandlungsverfahren geben – in allen übrigen teilnehmenden Mitgliedsstaaten wird das Ergebnis dieses Abhandlungsverfahren nur mehr vollzogen.

Da die EU-Verordnung Anwendungsvorrang genießt, wurden mit dem 17.8.2015 alle widersprechenden innerstaatlichen Kollisionsnormen derogiert bzw. in Österreich sogar aktiv durch den Gesetzgeber außer Kraft gesetzt (siehe § 106 JN idF bis 16.8.2015). Es besteht sohin keine rechtliche Grundlage, in Österreich ein Verlassenschaftsverfahren zusätzlich zum deutschen Verfahren einzuleiten (welches dann richtigerweise mit einer Einantwortung enden würde).

Lediglich der Vollständigkeit halber erlaube ich mir noch festzuhalten, dass eine Beschränkung eines in Deutschland ausgestellten Europäischen Nachlasszeugnisses auf das Gebiet der Republik Deutschland ohnehin unzulässig ist, da der Zweck des ENZ die Verwendung im EU-Ausland darstellt und lediglich „umgekehrt“ die Ausstellung bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt verweigert werden könnte (siehe Art 62 ff leg cit, insbesondere Art 62 Abs 1 „Mit dieser Verordnung wird ein Europäisches Nachlasszeugnis (im Folgenden „Zeugnis“) eingeführt, das zur Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wird und die in Artikel 69 aufgeführten Wirkungen entfaltet.“ und Art 63 Abs 1 „Das Zeugnis ist zur Verwendung durch Erben, durch Vermächtnisnehmer mit unmittelbarer Berechtigung am Nachlass und durch Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter bestimmt, die sich in einem anderen Mitgliedstaat auf ihre Rechtsstellung berufen oder ihre Rechte als Erben oder Vermächtnisnehmer oder ihre Befugnisse als Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter ausüben müssen“ ).

Also: Die deutschen Erben drehen langsam durch und beantragen beim deutschen Nachlassgericht die Erteilung eines neuen, berichtigten EU-Nachlasszeugnisses ohne Beschränkungsvermerk.

Ein Beispiel für die Tücken des europäischen Erbrechts in der praktischen Anwendung.

Weitere Informationen zu deutsch-österreichischen Erbfällen HIER.

Allgemein zu Erbrecht und Testament bei Auslandsvermögen hier:

Die 2003 gegründete Anwaltskanzlei Graf & Partner ist spezialisiert auf die Beratung bei deutschen Erbfällen mit Bezug zu Österreich, der Schweiz sowie zu anglo-amerikanischen Jurisdiktionen (England, Schottland, USA, Kanada,Australien und Südafrika). Wir haben lange Jahre praktischer Erfahrung mit der Abwicklung deutsch-österreichischer und deutsch-schweizer Nachlassangelegenheiten sowie deutsch-britischer, deutsch-amerikanischer und deutsch-kanadischer Erbfälle und unterstützen die Erben, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter gerne.

Wir prüfen und strukturieren den Erbfall und dessen steuerliche Auswirkungen, organisieren die in den jeweiligen Ländern nötigen Maßnahmen, nehmen auf Wunsch Kontakt zu den Erbrechtsexperten im jeweiligen Ausland auf (von USA und England über Südafrika bis Australien), und koordinieren die Nachlassabwicklung. Dies vermeidet Doppelarbeit und beschleunigt den Zugriff auf das ausländische Erbe.

Falls Sie bei einem konkreten Erbfall rechtliche Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die deutschen Anwälte der Kanzlei Graf & Partner sowie deren Partneranwälte in Österreich, der Schweiz, England, Schottland und Irland gerne zur Verfügung. Ihre Ansprechpartner sind Rechtsanwältin Katrin Groll und Bernhard Schmeilzl, Rechtsanwalt & Master of Laws (Leicester, England), zentrale Rufnummer: 0941 463 7070.