Was ist „Adjudication“ im englischen Prozessrecht?

Die „Construction Adjudication“ als schneller Weg zum vorläufig vollstreckbaren Schiedsspruch

Englische Zivilverfahren sind bekanntlich extrem teuer, aufwendig und langwierig (Details hier). In bestimmten Fallkonstellationen stellt das englische Recht aber alternative Klageverfahren zur Verfügung, mit denen der Kläger in wenigen Wochen zumindest eine vorläufige Entscheidung eines Schiedsrichters (Adjudicators) erwirken kann, die dann auch sofort vollstreckbar ist. Das beste Beispiel ist die sogenannte „Construction Adjudication“ im Baurecht. Diese Entscheidung im summarischen Verfahren ist allerdings nicht endgültig, sondern kann von der unterlegenen Partei in einem ausführlichen „regulären“ Zivilverfahren überprüft werden. Das System ähnelt also dem Urkundenprozess der deutschen Zivilprozessordnung, wobei in England kein staatliches Gericht entscheidet, sondern ein Adjudicator.

Dieses beschleunigte Verfahren, Briten sagen dazu „rough and ready“ ist anwendbar, wenn ein schriftlicher Werkvertrag über ein Bauwerk oder eine Anlage  (construction contract) geschlossen wurde. Der Zweck ist, eine schnelle vorläufige Entscheidung (interim solution) herbeizuführen, wobei es in der Praxis sehr häufig auch endgültig bei dieser Entscheidung bleibt, weil die unterlegene Partei den Schiedsspruch des Adjudicators nicht anficht. In den meisten Fällen geht es darum, dass der Lieferant von Baustoffen bzw. der Handwerksbetrieb zu seinem Geld kommt.

Wo ist das geregelt?

Die Voraussetzungen und der Ablauf der „Adjudication“ sind geregelt im Construction Act 2009 und diversen Ausführungsbestimmungen:

  • The Scheme for Construction Contracts (England and Wales) Regulations 1998 sowie
  • The Scheme for Construction Contracts (England and Wales) Regulations 1998 (Amendment) (England) Regulations 2011.

Diese „Schemes“ enthalten gesetzliche Musterklauseln, die in bestimmten Konstellationen zwingend anwendbar sind, wenn nämlich der Vertrag zwischen den Parteien hierzu entweder schweigt oder unzulässige Klauseln enthält.

Das Adjudication-Verfahren

Liegen die Voraussetzungen eine schriftlichen Bauvertrags vor und einigen sich die Parteien nicht über eine bestimmte Streitfrage (in der Regel die Voraussetzungen über die Fälligkeit einer Zahlung), kann jede Vertragspartei der Gegenseite formell mitteilen („notice“), dass sie ein Adjudication Verfahren einleiten will und einen Schiedsrichter (Adjudicator) anrufen wird. Der Umfang des Schiedsverfahrens und damit auch der Umfang der Entscheidungsbefugnis des Schiedsrichters wird durch diese Mitteilung definiert, man muss hier also sehr sorgfältig formulieren.

Die Partei, die das Verfahren einleitet (the referring party), hat dann nur sieben (!) Tage Zeit, um:

  • der gegnerischen Partei die vollständige Anspruchsschrift (genannt „Referral“) zuzustellen, sehr ähnlich einer Klageschrift.
  • die Bestellung eines Adjudicators in die Wege zu leiten, in der Regel indem man einen Antrag auf Bestimmung eines Schiedsrichters bei einer der anerkannten Organisationen stellt; hier eine Übersicht

Der  so bestimmte Adjudicator legt dann einen Zeitplan für den Verfahrensablauf fest und setzt Fristen für die jeweiligen Stellungnahmen.

Der Clou: 28 Tage Deadline

Der Adjudicator muss innerhalb von 28 Tagen ab dem Tag der Referral eine Entscheidung fällen. Ausnahmsweise kann dieser Zeitraum verlängert werden, jedoch auf maximal 42 Tage. Verglichen mit dem normalen englischen Zivilverfahren ist das Lichtgeschwindigkeit.

Im Adjudication-Verfahren selbst gibt es keine zweite Instanz. Der Schiedsspruch ist auch sofort (vorläufig) vollstreckbar. Es geht ja gerade darum, das Zulieferer und Handwerker schnell zu ihrem Geld kommen. Die unterlegene Partei kann den identischen Rechtsstreit aber vor das normale Zivilgericht bringen, wo der Fall dann in Ruhe ausführlich geprüft und endgültig entschieden wird.

Die Kosten

Prinzipiell trägt jede Partei ihre eigenen Kosten selbst. Der Adjudicator ordnet an, wer in welchem Umfang seine Kosten zu tragen hat, in der Regel nach der Quote des Obsiegens. Unter gewissen Umständen kann der Adjudicator auch anordnen, dass eine Partei der anderen Partei deren Anwaltskosten (anteilig) zu erstatten hat, das ist aber eher die Ausnahme.

Fazit

Wenn ein deutscher Zulieferer oder Handwerksbetrieb in England oder Wales tätig wird und der britische Auftraggeber die Vergütung nicht zahlt, sollte man immer an die Option der Construction Adjudication denken. In Zusammenarbeit mit unserer Partnerkanzlei Buckles Lyndales Solicitors (mehr als 90 Anwälte an vier Standorten in UK) beraten wir zahlreiche deutsche Unternehmen bei solchen grenzüberschreitenden Vertragsstreitigkeiten.

Weitere Informationen zu Prozessführung in England und den USA in diesen Beiträgen hier.

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