Ablauf des UK Insolvenzverfahrens (aus Gläubigersicht)

Achtung: Siehe das Update zu diesem Beitrag wegen Rechtsänderung im UK Insolvency Act im Jahr 2016.

Mit den (vermeintlichen) Vorteilen eines Insolvenzverfahrens in England für den Schuldner wird überall geworben. Googelt man „Insolvenz England“ erhält man rund 750.000 Treffer und zehn bezahlte GoogleAds von „Wirtschaftsdiensten“ (siehe hier).

Als Gläubiger, dessen Schuldner sich gerade nach England abgesetzt hat, fragt man sich da: Kann sich mein Gläubiger wirklich so einfach aus dem Staub machen? Oder kann ich meine Forderungen trotzdem noch effektiv durchsetzen? Die überraschende Antwort: Die Durchführung eines Insolvenzverfahrens in England benachteiligt nicht automatisch die Gläubiger. Ob sich aus den rechtlichen Unterschieden mehr Vor- oder Nachteile ergeben, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab. Anders gesagt: Vielleicht schießt der Schuldner mit seiner Flucht auf die Insel sogar ein Eigentor.

Aus Sicht deutscher Gläubiger dürfte der entscheidende Vorteil des englischen Insolvenzrechts in seiner Flexibilität liegen, nicht zuletzt, weil das englische Recht gleich eine Vielzahl unterschiedlicher Insolvenzverfahrensarten kennt. Sowohl bei Verbraucher- als auch bei Unternehmerinsolvenzen gilt: wenn überhaupt noch werthaltiges Vermögen vorhanden ist, kann man als Gläubiger das Verfahren die verschiedenen Einflussnahmemöglichkeiten sinnvoll zu seinen eigenen Gunsten nutzen. Im Gegenzug verlangt das englische Insolvenzrecht den Gläubigern aber auch mehr Eigeninitiative ab als das deutsche Insolvenzverfahren.

Zumindest bei Unternehmensinsolvenzen ist die Anwendung englischen Rechts oft für die Gläubiger sogar vorteilhafter. Der Grund für eine Verlagerung des Unternehmenssitzes nach England liegt oft darin, dass man sich die unbürokratischen und flexiblen Möglichkeiten des englischen Insolvenzrechts für eine Unternehmenssanierung zu Nutzen machen will. Von den verschiedenen Verfahrensarten des englischen Insolvenzrechts bieten sich in diesem Fall entweder eine „administration procedure“ oder ein „company voluntary arrangement (CVA)“ an. Vor allem das CVA, eine Art außergerichtlicher Vergleichsvertrag zwischen den Gläubigern und der Schuldnergesellschaft, ist sehr beliebt. Sein großer Vorteil liegt darin, dass er selbst für die Gläubiger verbindlich ist, die ihm nicht zugestimmt haben, sofern die Gläubiger, die ihm zugestimmt haben, zusammen mindestens 75 % der Verbindlichkeiten halten. Das Insolvenzgericht beaufsichtigt zwar das Verfahren, ansonsten ist es aber weitgehend unbeteiligt. Benachteiligt sind unter Umständen Gläubiger mit kleinen Forderungen, die von der Mehrheit in einen Vergleich gezwungen werden können, der für sie unvorteilhaft ist.

Auch die „administration procedure“ ähnelt zwar in mancherlei Hinsicht dem deutschen Insolvenzplanverfahren, sieht aber ebenfalls weniger Einflussnahme durch das Gericht vor. So wird z.B. der Insolvenzverwalter durch die Gläubiger oder gar das Schuldnerunternehmen selbst bestimmt. Die Angst vieler Gläubiger, bei einem deutschen Insolvenzverfahren könnte das Insolvenzgericht einen ungeeigneten Insolvenzverwalter auswählen, hat den deutschen Gesetzgeber aber nun zu einer Reform des Insolvenzrechts bewogen. Jetzt sollen auch in Deutschland die Gläubiger mehr Einfluss auf die Auswahl des Insolvenzverwalters nehmen können. Somit ist zweifelhaft, ob hier noch ein nennenswerter Vorteil des englischen Insolvenzrechts liegt. Wegen der eingeschränkten Kontrolle der Bestellungsentscheidung durch die englischen Gerichte besteht immerhin auch die Gefahr, dass einzelne Gläubiger durch die Einsetzung eines nicht neutralen Verwalters benachteiligt werden.

Gerade für Insolvenzen von Privatpersonen gilt leider oft genug: wo nichts ist, kann man nichts holen – weder in England, noch in Deutschland. Die „normale“ englische Verbraucherinsolvenz unterscheidet sich vom deutschen Verfahren vor allem durch die kurze Restschuldbefreiung. Spätestens 12 Monate nach Antragsstellung ist der Schuldner, der in England „bankruptcy“ anmeldet, schuldenfrei. Es darf aber bezweifelt werden, ob dies einen echten Nachteil für die Gläubiger darstellt. Nach deutschem Recht muss der Schuldner zwar während der gesamten Wohlverhaltensperiode von sechs Jahren sein Einkommen an die Gläubiger abführen, soweit es die Pfändungsfreigrenzen übersteigt. Die Praxis sieht in Deutschland aber in vielen, wenn nicht in den meisten Fällen so aus, dass die insolventen Schuldner während der Wohlverhaltensperiode von Sozialhilfe leben und somit über kein pfändbares Einkommen verfügen. In England will man deswegen durch die schnelle Restschuldbefreiung die Schuldner dazu anregen, möglichst bald wieder wirtschaftlich tätig zu werden. Davon kann man unter Umständen auch als Gläubiger profitieren – zumindest, wenn man sich überhaupt noch vorstellen kann, mit dieser Person Geschäfte zu machen. Von der Restschuldbefreiung unabhängig ist die Masseverwertung und Schuldenbereinigung durch den Insolvenzverwalter, die sich auch länger als 12 Monate hinziehen kann. Will man die Folgen der schnellen Restschuldbefreiung vermeiden, bietet sich auch der Abschluss eines so genannten „Individual Voluntary Agreement“ an. Ähnlich wie bei einem CVA bietet der Schuldner in gewissem Umfang Befriedigung an und die Gläubiger verzichten im Gegenzug auf ihre übrigen Forderungen. In diesem Rahmen kann man z.B. auch vereinbaren, dass der Schuldner während einer bestimmten Zeit einen Anteil seines Einkommens zur Gläubigerbefriedigung abführt. Je nach Einzelfall kann ein deutscher Gläubiger daher unter Umständen in einem englischen Insolvenzverfahren zumindest langfristig mehr erhalten, als in einem deutschen Insolvenzverfahren zu holen wäre.

Das größte Hindernis für viele Gläubiger dürfte das Kostenrisiko darstellen, vor allem wenn voraussichtlich kaum verwertbares Vermögen da ist. Grundsätzlich hat man keinen Anspruch auf Ersatz der Kosten, die einem für die Anmeldung seiner Forderung im englischen Insolvenzverfahren entstehen. Im schlimmsten Fall hat man dann viel Geld für englische Anwälte ausgegeben und steht trotzdem am Ende mit leeren Händen dar. Ein weiterer Nachteil aus Sicht deutscher Gläubiger kann darin liegen, dass es im englischen Recht keine festen Pfändungsfreibeträge gibt. Sofern der Schuldner tatsächlich noch Einkünfte hat, hängt es vom tatsächlichen Bedarf ab, wie viel er davon behalten darf. Weil die Lebenshaltungskosten in England (vor allem in London, wohin die meisten deutschen Schuldner flüchten!) oft deutlich über dem deutschen Niveau liegen, bleibt für die Gläubiger unter Umständen weniger übrig.

Weitgehend unbegründet ist jedenfalls die Angst, im englischen Insolvenzverfahren gar nicht berücksichtigt zu werden. Die europäische Insolvenzverordnung verpflichtet auch die englischen Gerichte bzw. Insolvenzverwalter dazu, die Insolvenzeröffnung unverzüglich allen ausländischen Gläubigern mitzuteilen. Normalerweise erhalten alle bekannten Gläubiger ein Formblatt (oft auch in deutscher Sprache) zugesandt, auf dem man dazu aufgefordert wird, seine Forderungen anzumelden. Selbst wenn man im Einzelfall als Gläubiger von der Durchführung des englischen Verfahrens tatsächlich nicht benachrichtigt worden ist, ist man nicht schutzlos gestellt. Es besteht dann die Möglichkeit, seine Forderung nachträglich anzumelden oder Amtshaftungsansprüche geltend zu machen.

Weitere Informationen zum Thema: Gläubigerrechte bei Umzug des Schuldners ins Ausland hier: „Schuldner flüchtet nach England: Tipps für deutsche Gläubiger“ sowie im Beitrag unserer englischen Anwaltskollegin Elissa Jelowicki hier.

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Falls Sie bei einer britisch-deutschen Rechtsangelegenheit Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die deutschen Anwälte und Solicitors der Kanzlei Graf & Partner sowie die englischen Solicitors der Kanzlei Lyndales gerne zur Verfügung. Ihre Ansprechpartner sind Bernhard Schmeilzl, Rechtsanwalt & Master of Laws (Leicester, England), der seit 2001 auf die Abwicklung deutsch-britischer Rechtsfälle spezialisiert ist und – speziell für Fragen des Forderungseinzugs und des Insolvenzrechts die englische Anwältin Solicitor Elissa Jelowicki. Telefon 0941 / 463 7070

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