Englischer Gesetzgeber will Schmerzensgeld für „Whiplash-Claims“ abschaffen
Kaum ein Kfz-Unfall ohne Kopf- und Nackenschmerzen. Auch in deutschen Gerichtssälen ist das „Schleudertrauma“, auch HWS-Distorsion (medizinische Definition hier) nach Auffahrunfällen ein ebenso häufiges wie umstrittenes Thema. Hauptproblem ist, dass die Beschwerden kaum objektiv belegbar sind. Das Schmerzensgeld hält sich daher, wenn das Gericht die Beschwerden überhaupt glaubt, in Deutschland ohnehin in überschaubaren Grenzen.
Anders war dies bislang in England. Hier konnte (und kann) das Unfallopfer auch bei nur moderater Verletzung Schmerzensgeld von 5.000 bis 10.000 Pfund realisieren. Damit erreichen die Schmerzensgelder in UK zwar längst nicht die manchmal in USA zugesprochenen (irrationalen) Dimensionen, es besteht aber durchaus ein finanzieller Anreiz für den Geschädigten, längere und intensivere Kopf- und Nackenschmerzen „zu verspüren“, als wenn der erreichbare Schadensersatzanspruch sich nur im symbolischen Bereich bewegt.
Das soll sich nun ändern: Die britische Regierung will aktuell drastisch gegen Schmerzensgeldklagen wegen Schleudertrauma vorgehen. Die englischen Versicherungsgesellschaften haben sich nämlich darüber beschwert, dass die sogenannten „Whiplash Claims“ der (angeblichen) Unfallgeschädigten den Versicherungen jährlich einen Schaden von etwa einer Milliarde Pfund verursachen. Die Kläger würden die durch das Schleudertrauma (Whiplash) erlittenen gesundheitlichen Beschwerden aber häufig entweder gleich frei erfinden oder zumindest erheblich übertreiben. Zudem würden die englischen Gerichte durch solche Klagen über Gebühr verstopft.
Derartige Klagen auf „general damages for soft tissue injury“, so die Umschreibung für Whiplash Claims, sollen deshalb in England faktisch dadurch eliminiert werden, dass sie zwingend dem „Small Claims“ Verfahren zugeordnet werden, bei dem die Rechtsberatungskosten vom Gegner nicht erstattet werden müssen, selbst wenn der Kläger gewinnt. Alternativ oder zusätzlich ist eine Pauschalierung des Schmerzensgeld oder die Einführung einer Obergrenze von etwa 400 Pfund im Gespräch.
Hintergründe und Details zur Gesetzesinitiative sowie die Stellungnahme der englischen Law Society (die sich naturgemäß wenig begeistert zeigt) finden sich hier und hier.
Weitere Informationen zu Rechtsstreitigkeiten mit Briten oder vor britischen Gerichten, zur englischen Zivilprozessordnung, Prozessführung und Zwangsvollstreckung in UK in diesen Posts:
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Die 2003 gegründete Kanzlei Graf & Partner ist mit ihrer Abteilung für britisch-deutsche Prozessführung (GP Chambers) auf grenzüberschreitende Rechtsfälle spezialisiert, insbesondere auf deutsch-britische Wirtschaftsstreitigkeiten, Scheidungen und Erbfälle.
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