Aber wo steht das eigentlich im US-Recht?
Wer sich mit internationalen Erbfällen befasst, insbesondere mit der Abwicklung deutsch-amerikanischer und deutsch-britischer Nachlassangelegenheiten, der hat irgendwann gelernt: Im anglo-amerikanischen Recht gilt für Immobilien der Grundsatz „lex rei sitae“ (Recht der belegenen Sache), in Amerika meist nur als „lex situs“ bezeichnet. Das bedeutet, für Immobilien außerhalb der USA (bzw. des Vereinigten Königreichs) gilt jeweils das Erbrecht desjenigen Landes, in dem sich die Immobilie befindet. Es kommt also zur sogenannten Nachlassspaltung (mehr dazu hier).
Warum ist das überhaupt wichtig?
Praktisch relevant wird die Frage des anwendbaren Erbrechts vor allem, wenn der Erblasser ohne Testament verstirbt, weil die gesetzliche Erbfolge in den USA, Großbritannien und Deutschland unterschiedlich ist. Auch für etwaige Pflichtteilsberechtigte macht es natürlich einen großen Unterschied, ob und für welche Nachlassgegenstände eventuell das deutsche Pflichtteilsrecht gilt. Übrigens, um mit einem Mythos aufzuräumen: Für Ehegatten (und manchmal sogar für Kinder) gibt es auch in etlichen USA-Bundesstaaten Pflichtteilsansprüche, meist „Eelective Share“ genannt (mehr hier).
Was aber, wenn es der Nachlassrichter nicht glaubt?
In einem aktuellen Fall wollte es ein deutscher Nachlassrichter nun aber ganz genau wissen. Ein US-Amerikaner mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt im USA-Bundesstaat Maryland war Miteigentümer einer deutschen Immobilie. Die Erben beantragten über einen deutschen Notar einen gegenständlich beschränkten deutschen Erbschein und führten aus, dass für die deutsche Immobilie das deutsche Erbrecht anwendbar ist, weil das US-amerikanische Erbrecht diesbezüglich auf das deutsche Erbrecht als Belegenheitsrecht (lex rei sitae / lex situs) verweist. Das weiß doch schließlich jeder.
Der Nachlassrichter stellte hierauf die kurze aber unangenehme Frage: Wo steht das eigentlich? Nach längerer Recherche stellten sowohl der Notar als auch die deutschen Anwälte der beteiligten Miterben fest, eine Gesetzesnorm, in der das Recht von Maryland im Erbrecht auf das ausländische Recht der Belegenheit verweist, gibt es nicht. Auch sonstige konkrete Fundstellen – Fehlanzeige.
USA-Recht verweist auf englisches Common Law
An dieser Stelle wandte sich der Notar an unsere Kanzlei und bat um eine Stellungnahme zu dieser Frage. Erbrecht in den USA ist Ländersache, fällt also in die Gesetzgebungskompetenz jedes einzelnen Bundesstaats. Nun hat der Maryland „Estates & Trusts Code“ zwar 451 Seiten, einen Paragrafen, der explizit anordnet, dass bei ausländischem Immobilienvermögen (foreign immoveable property) das dortige Erbrecht gilt, sucht man vergeblich.
Lediglich in §5–103 (Seite 76 unten) wird Situs relevant im Hinblick auf die Zuständigkeit des Nachlassgerichts (venue), wenn der Erblasser sein Domicile außerhalb von Maryland hatte:
§5–103. (a) The venue for administrative or judicial probate is in the county in which the decedent had his domicile at the time of his death, or, if the decedent was not domiciled in Maryland, the county in which the petitioner believes the largest part in value of the property of the decedent in Maryland was located at the time of his death.
Die Norm behandelt aber „venue“, also die Frage, welches Nachlassgericht zuständig ist, nicht die Frage des anwendbaren Rechts.
Wie begründet man also in Maryland (und den meisten anderen Bundesstaaten der USA), dass es zur Nachlassspaltung kommt und für (aus USA-Perspektive) ausländische Immobilien das lex rei sitae Prinzip gilt? Nun: Man muss ganz oben ansetzen, im konkreten Fall bei der Verfassung des Staates Maryland. Die Constitution ordnet in Artikel 5 der Maryland Declaration of Rights an, dass – sofern der Gesetzgeber nichts anderes bestimmt – das Common Law von England gilt – und zwar zum Stand 4. Juli 1776. Hier der genaue Wortlaut des Artikel 5:
Article 5. (a) (1) That the Inhabitants of Maryland are entitled to the Common Law of England, and the trial by Jury, according to the course of that Law, and to the benefit of such of the English statutes as existed on the Fourth day of July, seventeen hundred and seventy–six; and which, by experience, have been found applicable to their local and other circumstances, and have been introduced, used and practiced by the Courts of Law or Equity; and also of all Acts of Assembly in force on the first day of June, eighteen hundred and sixty–seven; except such as may have since expired, or may be inconsistent with the provisions of this Constitution; subject, nevertheless, to the revision of, and amendment or repeal by, the Legislature of this State.
Damit sind wir also beim englischen Common Law gelandet – und zwar zum Stand 4. Juli 1776. Aber im Common Law gilt seit jeher die Prinzipien der Nachlassspaltung und des lex rei sitae. Hierfür finden sich dann schon leichter zitierbare Fundstellen in Kommentaren zum Erbrecht in Europa.
Fazit zu USA-Erbfällen mit deutschen Immobilien im Nachlass
In der Praxis fallen Immobilien außerhalb des jeweiligen USA-Bundesstates (foreign real property) nicht in die Zuständigkeit der Nachlassabwicklung dieses Bundesstaats. Solches unbewegliches Vermögen außerhalb des Bundesstaats (also selbst Immobilien in einem anderen US-Bundesstaat) wird also nicht im Nachlassverzeichnis (Estate Inventory) erfasst. In der englischen Rechtsterminologie formuliert man: „real property titled in decedent’s name not located in Maryland is not subject to jurisdiction of the Maryland Courts.“
In den meisten anderen US-Bundesstaaten ist die Situation ähnlich. Eine ausdrückliche Verweisung auf ausländisches Belegenheitsrecht gibt es so gut wie nirgends. Das versteht sich für Erbrechtsanwälte in USA von selbst.
Nun könnte ich so tun, als hätte ich das alles selbst absolut sicher gewusst. Ich kann aber statt dessen auch Matthew J. Lidinsky, unserem Partneranwalt in Maryland dafür danken, dass er uns das nochmals ausdrücklich als korrekt bestätigt hat