Eine „Vollmacht über den Tod hinaus“ existiert in anglo-amerikanischen Rechtsordnungen nicht

Jede Woche ruft mindestens ein empörter Erbe bei mir an und beschwert sich darüber, dass eine englische oder amerikanische Bank so unglaublich begriffsstutzig sei, dass deren Mitarbeiter nicht verstünden, dass der Erbe mit einer deutschen transmortalen Vollmacht auf das Konto, den Fonds, das Schließfach etc zugreifen darf, auch ohne Erbschein. Der Vater des Anrufers habe die Vollmacht auf Anraten seines deutschen Anwalts doch extra deshalb als über den Tod hinaus gültig ausgestaltet, damit die Erben dann später nicht extra einen teuren englischen oder amerikanischen Erbschein (Grant of Probate) beantragen müssen (Details hier). Der Anwalt sei ganz stolz gewesen und habe die Gestaltung als tolle Idee verkauft. Die Banken würden nun aber herumzicken und stur einen vom englischen Gericht ausgestellten Erbschein verlangen. Ich sei doch Experte für deutsch-britische Erbfälle und solle das diesen Idioten von Barclays, Lloyds, HSBX nun endlich klar machen, damit die das Guthaben freigeben.

Nun, die schlechte Nachricht für den Anrufer (und dessen früheren Anwalt): Die Banken haben leider Recht. Im gesamten Common Law System gibt es keine Vollmachten über den Tod hinaus. Transmortale Vollmachten werden nicht akzeptiert. Englische Solicitors haben den Begriff in aller Regel überhaupt noch nie gehört und schauen einen verständnislos bis mitleidig an, wenn man etwas von „transmortal powers of attorney“ erzählt, die in Germany üblich seien. In juristischen Kommentaren findet man dazu nur den schlanken Satz: „Under the common law, a power of attorney becomes ineffective if its grantor dies.“ Mehr gibt es dazu aus Sicht des Common Law Juristen nicht zu sagen. Außer vielleicht bei den Iren: In der Republik Irland (nicht in Nordirland) werden transmortale Vollmachten manchmal von Banken akzeptiert, aber auch nicht wirklich gern (Details hier).

Warum gibt es das Instrument transmortale / postmortale Vollmacht die damit einhergehenden Möglichkeiten und Risiken (Stichwort „Wettlauf zwischen Erben und Bevollmächtigten“) in USA und UK nicht?

Weil die Abwicklung von Erbfällen im Common Law völlig anderen Prinzipien folgt an in Deutschland. Das Common Law kennt keine Universalsukzession und keinen Direkterwerb. Es gibt auch keine Erben im Sinne des BGB. Vielmehr steht der Nachlass als solcher (the Estate) im Zentrum. Dieser wird von einem „personal representative“ in Besitz genommen und verwaltet. Der personal representative (executor oder administrator) bezahlt die Nachlassverbindlichkeiten, insbesondere auch die Steuern. Erst wenn er damit fertig ist, schüttet er das verbleibende Nachlasvermögen (the residuary estate) an die „beneficiaries“ aus. Deshalb ist es aus der Logik des englischen Erbrechts und der Nachlassabwicklung von zentraler Bedeutung, den Nachlass am Todestag „einzufrieren“. Nur der Nachlass selbst haftet ja für Nachlassverbindlichkeiten und nur der Nachlass wird besteuert (nicht die Erben oder Vermächtnisnehmer persönlich). Zugriff auf den Nachlass darf nur der personal representative haben, der vom Probate Court per Grant of Probate bzw. Letter of Administration dazu bestellt (appointed) wird. Greift jemand unbefugt – also ohne Grant of Probate – auf den Nachlass zu (meddling with the estate), macht er sich persönlich haftbar.

Damit ist auch klar, warum es in Common Law Jurisdiktionen keine transmortale Vollmacht geben kann: Zugriff auf den Estate darf nur der Executor/Administrator haben und der muss vom dortigen Gericht bestellt sein. Und das Gericht bestellt ihn erst, nachdem – jetzt kommt’s – das englische Finanzamt grünes Licht gegeben hat, sprich die Erbschaftssteuern aus dem Nachlass bezahlt sind oder verbindlich festgestellt wurde, dass keine Erbschaftssteuer anfällt.

Es hilft also nichts: Wer im Erbfall auf Assets in USA, England, Schottland, Irland oder den Kanalinseln (Guernsey, Jersey) zugreifen will, muss dort einen separaten Erbnachweis beantragen (Ausnahmen gibt es für kleine Nachlassvermögen unterhalb 10.000 Pfund, sog. „small estate claims“). Unser Posting „Schon ein Bankkonto in UK genügt: Die Erben brauchen einen englischen Erbschein“ bleibt also nach wie vor richtig. Einzig verbleibende Möglichkeit, den Erbschein zu vermeiden: Man kann die späteren Erben natürlich gleich als Mitinhaber (joint ownership) eintragen lassen, aber dann gehört es denen halt auch bereits (mit).

Da ein Grant of Probate-Verfahren gut und gerne sechs Monate oder länger dauert,  sehr aufwendig und teuer ist (Stichworte: Apostillen und beglaubigte Übersetzungen), sollte man sich gut überlegen, ob sich ein Investment im Ausland lohnt.

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Unsere 2003 gegründete Kanzlei Graf & Partner ist auf grenzüberschreitende Nachlassfälle spezialisiert. Wir haben mittlerweile gut 100 deutsch-britische Erbfälle begleitet oder vollständig als Administrator abgewickelt, inklusive Auflösung von Geldanlagen und Verkauf von Immobilien. Mitglied unserer Kanzlei ist die als UK Solicitor qualifizierte Kollegin Elissa Jelowicki, die bei der RAK München als Niedergelassene Europäische Rechtsanwältin registriert ist. Falls Sie bei einer britisch-deutschen Rechtsangelegenheit Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die deutschen Anwälte und Solicitors der Kanzlei Graf & Partner gerne zur Verfügung. Ihr Ansprechpartner ist Bernhard Schmeilzl, Rechtsanwalt & Master of Laws (Leicester, England).