Zwangsvollstreckung in England: Leitfaden und Praxistipps

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Im vorherigen  Beitrag (hier) haben wir erklärt, wie man ein deutsches Urteil in England für vollstreckbar erklären lassen kann. Für Unterhaltsansprüche gelten übrigens andere Regeln, die hier im Detail erklärt werden.

In diesem Beitrag geht nun darum, wie die Zwangsvollstreckung in England in der Praxis abläuft, egal ob der Gläubiger aus einem englischen oder deutschen Urteil vorgeht. Nach der Registrierung des deutschen Titels in England (siehe hier) und Ablauf einer einmonatigen Rechtsmittelfrist kann man als deutscher Gläubiger daraus nämlich genau so vollstrecken, als hätte man ein Urteil eines englischen Gerichts. Für die Zwangsvollstreckung gelten dann dieselben Regeln. Und so geht es:

Brauche ich für die Zwangsvollstreckung einen (teuren) englischen Anwalt?

Nein, nicht zwingend. Die Beauftragung eines englischen Solicitors kann aber – vor allem in komplizierten Fällen – sinnvoll sein und den Ablauf beschleunigen. Wer als Gläubiger gut Englisch spricht und sich die Korrespondenz mit den Behörden ihrer Majestät zutraut, kann die Vollstreckung auch selbst einleiten. Das Risiko ist aber hoch, dabei einen Formfehler zu begehen. Nach unserer Erfahrung lohnt es sich finanziell erst bei Forderungen ab 5.000 Pfund aufwärts, englischen Solicitors die Vollstreckung zu übertragen. Etwas kostengünstiger kann es sein, deutsche Anwälte zu beauftragen, die auf die Vollstreckung in England spezialisiert sind. Auch dann muss man aber damit rechnen, dass erhebliche Kosten anfallen.

Wie leitet man die Zwangsvollstreckung ein?

Der Gläubiger bzw. dessen Anwalt muss beim jeweils zuständigen Vollstreckungsgericht die Durchführung der gewünschten konkreten Vollstreckungsmaßnahme beantragen. Welches Gericht das ist, hängt davon ab, in welchen Vermögensgegenstand man konkret vollstrecken will. Das englische Recht kennt – wie das deutsche Recht – mehrere Mittel der Zwangsvollstreckung. Zur Wahl stehen:

  • Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen, also in Gegenstände („seizure of assets“, Formular N323);
  • Forderungspfändung („Thirdparty debt proceedings“, Formular N349);
  • Lohn- und Gehaltspfändungen („attachments of earnings“, Formular N337);
  • Zwangsvollstreckung in Grundstücke durch Eintragung von Grundpfandrechten („charging orders“, Formular N379), Besitzeinweisung („recovery of land“) oder Zwangsverwertung („equitable execution“);
  • Zwangsvollstreckung in andere Sicherheiten durch Eintragung („charging orders“, Formular 380).

Die wichtigsten Vollstreckungsarten im Detail:

a)     Vollstreckung in Immobilien

Die häufigste und erfolgversprechendste Art der Vollstreckung wegen einer Forderung ist die Vollstreckung in Grundstücke. Der Hintergrund: Mehr als 70% der Einwohner von UK wohnen in eigenen Häusern. Um zu überprüfen, ob der Schuldner tatsächlich Eigentümer eines Grundstücks ist, kann man als in ein öffentliches Register, das „Land Registry“ (hier), einsehen.

Ist die Suche erfolgreich, so kann der Gläubiger das Grundstück mit seiner Forderung zur Sicherung belasten lassen („charge“). Dies entspricht etwa einer Zwangssicherungshypothek deutschen Rechts. Dazu beantragt er mit Hilfe des Formulars N379 eine sog. „Charging Order“, in der Regel beim County Court des jeweiligen Gebiets. Mit dem Antrag muss man auch eidesstattlich versichern, dass die Angaben wahr sind.

Alle genannten Formulare stehen hier zum Download

Nach Prüfung des Antrags erlässt das Gericht eine vorläufige Anordnung („interim charging order“). Der Gläubiger muss diese Anordnung dem Schuldner zustellen. So weiß der Schuldner, dass

(i) der Gläubiger seine Forderung mit dem Grundstück sichert und

(ii) der Schuldner selbst das Grundstück nicht mehr veräußern darf.

Nach einer Anhörung der Beteiligten – der deutsche Gläubiger muss also in England vor Gericht erscheinen oder sich vertreten lassen – erteilt das Gericht eine endgültige Anordnung („final charging order“) wird. Zahlt der Schuldner auch jetzt noch nicht, darf der Gläubiger das Grundstück verkaufen.. Dazu muss der Gläubiger allerdings wiederum beim County Court eine eigene Verkaufsanordnung beantragen und die Immobilie selbst verkaufen. Den Betrag, der nach Abzug der Forderung des Gläubigers bleibt, muss er an den County Court auskehren.

b)     Sachpfändung

Auch die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Schuldners ist möglich. Hierzu hat der Gläubiger beim County Court mit dem Formular N323 einen Pfändungsauftrag zu erteilen („warrant of execution“). Der vom Gericht beauftragte Gerichtsvollzieher wird bewegliche Güter des Schuldners pfänden. Wie in Deutschland sind allerdings gewisse persönliche Gegenstände des Schuldners unpfändbar (z.B. Gegenstände, die der Schuldner für seinen Beruf oder sein Geschäft benötigt, z. B. Werkzeuge oder Bücher; lebenswichtige Haushaltsgegenstände, die der Beklagte und seine Familie benötigen, z. B. Bekleidung oder Bettzeug; Gegenstände, die gemietet bzw. gepachtet sind bzw. für die Ratenkaufverträge bestehen (einschließlich Kraftfahrzeuge).

c)     Vollstreckung in Forderungen

Weiß der Antragsteller und Gläubiger von offenen Forderungen des Schuldners gegen Dritte, so kann er diese Forderungen pfänden lassen. Dazu beantragt er beim örtlich zuständigen County Court (bzw. bei Forderungen über 15.000 Pfund beim High Court, London) mittels des Formulars N349 die Pfändung („garnishment“). Das Gericht erlässt zunächst nach wenigen Tagen, maximal zwei Wochen, ein vorläufiges Zahlungsverbot („interim third party debt order“) gegenüber Schuldner und Drittschuldnern („garnishee“). Wiederum muss der Gläubiger diese Anordnung dem Schuldner zustellen. Ist Drittschuldner eine Bank, so wird sie verpflichtet, innerhalb von sieben Tagen nach Zustimmung des vorläufigen Zahlungsverbots Auskunft über alle Konten und Kontostände zu erteilen. In der folgenden mündlichen Verhandlung muss der Antragsteller durch Vorlagen von Urkunden beweisen, dass der Schuldner tatsächlich die gepfändeten Forderungen innehat. Das Gericht entscheidet dann nach Sachlage und Anhörung aller Parteien, ob aus dem vorläufigen Zahlungsverbot eine endgültiges („final third party debt order““) wird.

Wie in Deutschland besteht für den Gläubiger auch in England das Risiko, dass der Schuldner, der sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet, einen Antrag auf Freigabe gepfändeter Beträge stellt („hardship payment orders“), der wiederum vor Gericht verhandelt wird.

d)     Lohnpfändung

Eine in Deutschland beliebte Methode der Zwangsvollstreckung ist die Lohnpfändung. Das gibt es natürlich auch in England. Kennt der Gläubiger die Arbeitsstelle des Schuldners, kann er gegen den Schuldner und den Arbeitgeber mittels des Formulars N337 ein sog. „attachment of earning“ verhängen lassen. Bei diesem Vollstreckungsverfahren wird eine Verfügung erwirkt, mit der regelmäßig am Tag der Lohn- oder Gehaltszahlung ein bestimmter Betrag des Arbeitsentgelts des Beklagten abgezogen und direkt an den Vollstreckungsgläubiger übermittelt wird. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, innerhalb von zehn Tagen nach Erhalt der Verfügung dem County Court mitzuteilen, ob der Schuldner bei ihm arbeitet, ggf. wieviel Lohn er erhält. Er hat den entsprechenden Teil des Lohnes abzuziehen. Allerdings: Auch in England gibt es wie in Deutschland sog. Pfändungsgrenzen, die zu beachten sind.

Wer trägt die Kosten für die Vollstreckungsmaßnahmen?

Gläubiger wollen natürlich wissen: Wieviel muss ich noch investieren? Und bekomme ich die Kosten zurück?

Ob der Gläubiger seine Auslagen vom Schuldner zurückbekommt, hängt davon ab, ob die Vollstreckung selbst erfolgreich ist. Die englischen Gerichte erheben – wie die deutschen Vollstreckungsgerichte – Gebühren für die einzelnen Vollstreckungsmaßnahmen. Es gilt dasselbe Prinzip wie in Deutschland: Die Gebühren muss der Gläubiger erst einmal vorschießen, ansonsten werden die Gerichte nicht tätig. Das zuständige Vollstreckungsgericht addiert die Vollstreckungsgebühren auf die Forderungssumme auf, d.h. auch die Gerichtsgebühren werden mit vollstreckt. Das bedeutet: Verläuft die Vollstreckung erfolgreich, erstattet das Gericht dem Gläubiger auch die Auslagen zurück. Andererseits kann es die Auslagen des Gläubigers nicht zurückerstatten, wenn dieser das Geld vom Beklagten nicht erhält.

Entstehen weitere Kosten?

Leider meist ja. Besonders ins Gewicht fallen Übersetzungsgebühren, auf denen der Gläubiger oft selbst bei erfolgreicher Vollstreckung sitzen bleibt. Die Erfahrung zeigt, dass Vollstreckung in England daher erst ab einer relativ hohen Forderungssumme (mindestens 5.000 Pfund) wirtschaftlich sinnvoll ist.

Am besten vermeidet man daher, überhaupt in England klagen oder vollstrecken zu müssen. Wie das geht? Siehe hier

Weitere Informationen zur englischen Zivilprozessordnung und zur Prozessführung und Zwangsvollstreckung in UK und USA in diesen Posts:

Wie sieht eine Zivilklage in England aus?

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