Ein Scheidungsantrag in England macht‘s möglich

Wie erreicht man eine finanziell lukrative Scheidung trotz deutschem Ehevertrag mit Gütertrennung oder modifizierter Zugewinngemeinschaft? Durch Umzug nach England und Scheidungsantrag am englischen Family Court

Von Bernhard Schmeilzl (Rechtsanwalt in Deutschland) und Paula Piquer Ruz (Solicitor in England & Abogada in Spanien)

Das englische Scheidungsrecht kennt als Grundprinzip, dass der „reichere“ Ehegatte die Hälfte seines gesamten Vermögens abgeben muss („equal split“). Wohlgemerkt nicht nur die Hälfte des Zugewinns während der Ehezeit, sondern des gesamten Vermögens, egal wo das Vermögen herstammt, also inklusive des bereits vor der Ehe vorhandenen Vermögens sowie aller gemachten Erbschaften und erhaltenen Schenkungen, etwa von Eltern oder Großeltern. Zwar gibt es von diesem Grundsatz unter bestimmten Voraussetzungen die eine oder andere Ausnahme, aber das Grundprinzip ist zunächst einmal die hälftige Teilung des gesamten weltweiten Vermögensportfolios. Das treibt so manchem englischem Börsenmakler, Schauspieler oder Sänger Tränen in die Augen. Und auch der eine oder andere russische Oligarch bereut, spätestens wenn ihm die Scheidungspapiere des englischen Familiengerichts zugestellt werden, dass er eine Wohnung in London gekauft und damit die Zuständigkeit des englischen Gerichts begründet hat.

Kommt man aus einem ungünstigen Ehevertrag raus?

Umgekehrt leuchten die Augen bei so manchem scheidungswilligen Ehegatten in Deutschland, der in der Boulevardpresse neidvoll lesen muss, wie eine Prominenten- oder Oligarchengattin nach der anderen vom englischen Familiengericht im Scheidungsurteil zweistellige Millionenbeträge zugesprochen bekommt. Wobei die englischen Familiengerichte da übrigens völlig geschlechtsneutral arbeiten. Ist die Ehefrau die reichere, kann sich auch der scheidungswillige Ehemann auf die Hälfte des Familienvermögens seiner Frau freuen. 

In Deutschland dagegen gibt es im Scheidungsfall maximal die Hälfte des während der Ehe erwirtschafteten Zugewinns. Und wenn man einen notariellen Ehevertrag mit Gütertrennung oder modifizierter Zugewinngemeinschaft unterschrieben hat, dann noch nicht einmal das.

Wem das nicht genügt und wer bereut, einen deutschen Ehevertrag unterschrieben zu haben, hat durch den Umzug nach Großbritannien die Chance, den deutschen Ehevertrag auszuhebeln.

Zeit genug für einen solchen Umzug nach England hat man ja, weil das deutsche Scheidungsrecht in § 1565 Abs. 2 BGB eine Wartezeit von einem Jahr vorschreibt, in der die Eheleute getrennt leben müssen (Trennungsjahr). Stellt man den Scheidungsantrag zu früh, also deutlich vor Ablauf des Trennungsjahrs, riskiert man als Antragsteller eine teure Abweisung des Scheidungsantrags als unzulässig. Man muss dann nach Ablauf des Trennungsjahrs wieder von vorne anfangen.

Umzug nach England eröffnet die Zuständigkeit englischer Familiengerichte

Wie schafft man es, dass das Scheidungsverfahren in England stattfindet, statt in Deutschland? Englische Familiengerichte sind relativ großzügig, wenn es darum geht, ob sie sich für ein Scheidungsverfahren als zuständig ansehen. Zu den Details der Zuständigkeitsprüfung für eine internationale Scheidung (check of international jurisdiction for divorce) gleich.

Warum ist eine Scheidung vor einem englischen Scheidungsrichter so verlockend für den weniger vermögenden Ehepartner? Weil englische Familiengerichte immer ausschließlich englisches Scheidungsrecht anwenden, egal welche Nationalität die Ehepartner haben. Deutsches Familienrecht kümmert englische Richter wenig und Eheverträge – gar (aus britischer Sicht ausländische) Eheverträge – haben keine feste Bindungswirkung. Das Gericht soll den Inhalt zwar nicht unberücksichtigt lassen, aber die knallharte vertragliche Wirkung, die ein Ehevertrag in Deutschland hat, ist in England futsch.

Wann nimmt ein englisches Familiengericht ein Scheidungsverfahren an?

Wegen des BREXIT gelten EU-Verordnungen seit 1. Januar 2021 nicht mehr (für die ganz Spitzfindigen: seit 23 Uhr englischer Zeit des 31. Dezember 2020. Wie die englischen Gerichte künftig mit den Themen „Forum Shopping“ und „lis pendens“ (bereits anderweitig rechtshängige Gerichtsverfahren) umgehen, also dem bewussten Herbeiführen eines für den Kläger günstigen Gerichtsstandes, werden erst künftige Gerichtsurteile zeigen.

Die Zuständigkeitsregeln des englischen Rechts sind wie folgt. Ein englisches Familiengericht nimmt seine Zuständigkeit an, wenn eine der folgenden Voraussetzungen gegeben ist (wir zitieren hier bewusst den englischen Originaltext, um Unschärfen durch Übersetzung zu vermeiden):

An English court will have jurisdiction to hear the divorce is:

(a) both parties to the marriage are habitually resident in England and Wales

(b) both parties to the marriage were last habitually resident in England and  Wales and one of them continues to reside  there

(c) the respondent is habitually resident in England and Wales

(d) the applicant is habitually resident in England and Wales and has resided there for at least one year immediately before the application was made

(e) the applicant is domiciled and habitually resident in England and Wales and has resided there for at least 6 months immediately before the application was made

(f) both parties to the marriage are domiciled in England and Wales; or

(g) either of the parties to the marriage is domiciled in England and Wales.

Für das Thema dieses Beitrags hier, also ehemüde Partner, die von Deutschland nach England umziehen, um sich dort scheiden zu lassen, sind natürlich die Varianten (d) und (e) aus der obigen Liste besonders relevant.

Ein wichtiges Detail: Im Unterschied zum Gesetzestext der Brüssel II Verordnung verlangt das englische Recht gemäß Entscheidung im Fall Marinos (2007) EWHC 2047 lediglich, dass der Antragsteller des Scheidungsverfahrens seinen gewöhnlichen Aufenthalt (also Lebensmittelpunkt) erst am Tag der Antragstellung in England haben muss; für die Phase vorher genügt einfacher Aufenthalt (Entscheidungstext im Original: „petitioner must be habitually resident on the day of issue of proceedings – and 6 or 12 months only ordinary residence is required“). Dieser Ansatz der englischen Gerichte macht es noch einfacher, ein Scheidungsverfahren nach England zu ziehen.

Wettrennen um die Zuständigkeit? – “Jurisdiction race”

Die Brüssel II Verordnung, die in UK seit BREXIT nicht mehr gilt, enthält Regeln, wie die internationale Zuständigkeit zwischen zwei Ländern festgestellt werden soll. Das Gericht desjenigen Staates, das als erstes angerufen wurde, hatte die Entscheidungsbefugnis und ein etwaiges zweites Gericht in einem anderen Mitgliedstaat, das später angerufen wurde, sollte das Verfahren aussetzen, bis das zuerst angerufene Gericht entschieden hatte.

Jetzt, nach Brexit, ist der Zeitpunkt der Antragstellung allein (“jurisdiction race”) aus Sicht des englischen Rechts kein zentrales Entscheidungskriterium mehr. Die englischen Familiengericht wenden vielmehr das Prinzip des “forum conveniens” an, prüfen also, zu welchem Land die engste Verbindung (closest connection) besteht. Das klingt auf den ersten Blick nach einem objektiven Prüfmaßstab, in Wahrheit sind dadurch jetzt in der Argumentation der Parteien alle Wetten offen. Geprüft werden vom englischen Familiengericht nämlich Aspekte wie:

  • Welches Gericht kann die Scheidung am schnellsten durchführen?
  • Wo sind die meisten oder “wichtigsten” Assets belegen?
  • Wo kann am ehesten “fairness” erreicht werden?
  • Wären Gerichtsbeschlüsse (court orders) vollstreckbar (enforceability)?

Man sieht, die Parteien können über solche Fragen viele Monate streiten.

Das Vereinigte Königreich ist (noch) nicht Mitglied der Lugano II Hague Convention. Künftig kann die Situation entstehen, dass EU-Staaten die Beschlüsse englischer Familiengerichte nicht anerkennen, wenn die englischen Gerichte ihre Zuständigkeit allein deshalb angenommen haben, weil der Antragsteller in England domicile bzw. gewöhnlichen Aufenthalt hatte. In UK gilt ein solcher Beschluss natürlich trotzdem und der geschiedene Partner kann jedenfalls in englisches Vermögen des reicheren Ehegatten vollstrecken.

Im Ergebnis ist hier noch vieles ungewiss. Unklar ist etwa, wie EU-Staaten reagieren werden, wenn der Scheidungsantrag zeitlich früher in einem EU-Mitgliedsstaats gestellt wird, ein zweiter Antrag dann in England erfolgt und dieses englische Gericht seine Zuständigkeit bejaht, weil es einen „engeren Bezug“ (closer connection) zu England annimmt als zu dem EU-Mitgliedsstaat.

Wie wehrt man sich, wenn der Ehepartner nach England zieht, nur um dort die Scheidung durchführen zu können?

Falls also die Ehe kriselt und man Anzeichen dafür bemerkt, dass sich der Ehepartner nach England „absetzen“ möchte, sollten alle Alarmglocken schrillen, insbesondere wenn man der wohlhabendere Ehegatte ist. Besonders gefährlich ist die Situation, wenn der Ehepartner, der „flüchten“ will, die britische Staatsbürgerschaft hat, weil dieser das englische Gericht natürlich viel leichter davon überzeugen kann, dass er oder sie das „domicile“ in UK hat.

Mit welchem Argument können Sie bzw. ihre englischen Anwälte dann dagegen ankämpfen, dass ein englischen Familiengericht sich für zuständig erklärt?

Hier ein paar Praxistipps meiner Anwaltskollegin Paula Piquer Ruz, Expertin für internationales Familienrecht mit Anwaltszulassung in England (Solicitor) und in Spanien (Abogada), Senior Solicitor des Family Law Department der Kanzlei Buckles LLP und Vorstandsmitglied der British-Spanish Law Association:

  1. Konkret und substantiiert bestreiten, dass der Antragsteller / die Antragstellerin ein „domicile“ oder „habitual residence“ in England hat. Also Indizien dafür vortragen, dass der Umzug nach UK gar nicht ernst gemeint und auf Dauer angelegt ist. Das ist allerdings schwierig, wenn der Antragsteller die britische Staatsbürgerschaft hat, weil Briten ja immer ihr „domicile of origin“ in UK haben und englische Gerichte leicht davon zu überzeugen sind, dass der verlorene britische Sohn / die verlorene Tochter endlich zu Verstande und deshalb auch heim ins britische Empire gekommen ist.
  2. Viele konkrete Gründe vortragen, warum es besser ist, dass das deutsche Gericht die Scheidung verhandelt. Zum Beispiel: Die meisten Assets der Eheleute, vor allem Immobilien, befinden sich in Deutschland; die Eheleute haben einen deutschen Ehevertrag abgeschlossen; Kinder gingen bislang in eine deutsche Schule; es ist unsicher, ob ein Beschluss des englischen Gerichts in Deutschland vollstreckt werden kann usw.
  3. Natürlich sollte man das englische Gericht auch darüber informieren, dass viel dafürspricht, dass der Umzug nach England in Kombination mit einem schnellen Scheidungsantrag in England nur deshalb erfolgte, um ein besseres finanzielles Scheidungsergebnis zu erreichen. Hierfür kann man Vergleichsberechnungen anstellen, um dem Gericht in England plastisch vor Augen zu führen, dass der Antragsteller bei einer Scheidung in Deutschland zum Beispiel Null Euro erhalten würde, bei einer Scheidung nach englischem Recht dagegen einen Millionenbetrag. Allerdings muss man dabei vorsichtig sein und auch psychologische Aspekte berücksichtigen. Die Vergleichsmodellrechnung wirkt auf das Gericht natürlich unterschiedlich, je nachdem, ob den Scheidungsantrag eine 29jährige YouTube-Influencerin stellt, die sich nach fünf Jahren Ehe und High-Society-Leben ohne Kinder von einem deutschem Wirtschaftsmanager oder Fußballprofi scheiden lassen will, oder eine 45jährige, die sich 20 Jahre lang um drei gemeinsame Kinder gekümmert hat, jetzt von ihrem Mann betrogen wurde und deshalb zu ihrer Familie nach England zurückzieht. In letzterem Fall sollte man sich vielleicht lieber nicht auf den deutschen Ehevertrag berufen, weil die englischen Familienrichter das Ergebnis nach deutschem Recht dann wahrscheinlich nicht lustig finden.
  4. Obwohl die Wahl des (deutschen) Gerichtsstands im deutschen Ehevertrag das englische Familiengericht nicht bindet, hat es nach der Erfahrung der internationalen Familienrechtsexpertin Paula Piquer Ruz oft doch einen zumindest unterschwelligen Effekt, wenn man das englische Gericht darauf hinweist, dass der / die Antragsteller/in sich eigentlich damals der Jurisdiktion des deutschen Scheidungsgerichts unterworfen hat.

Es kommt ganz darauf an

Als Fazit gilt – wie immer vor Gericht – es kommt auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. In England gilt das noch mehr als in Deutschland, weil Richter hier erheblich mehr Entscheidungsfreiheit besitzen.

Nimmt das englische Familiengericht eine Zuständigkeit für die Scheidung an, ist noch nicht alles verloren. Der „reichere“ Ehegatte in Deutschland kann dann – quasi als zweite Verteidigungslinie gegen die „equal split“ Katastrophe – bestreiten, dass die Ehe überhaupt gescheitert ist, dass also die Scheidungsvoraussetzungen (grounds for divorce) nach englischem Recht vorliegen. Das ist zwar aufwendig, teuer und unangenehm, weil in England immer noch das Schuldprinzip gilt und deshalb schmutzige Wäsche gewaschen werden muss, aber es eröffnet vielleicht die Chance für einen Vergleich.

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Rechtsanwalt Schmeilzl ist seit 2003 auf deutsch-britisches Recht spezialisiert, Schwerpunkte Erbrecht, Nachlassabwicklung, internationale Zivilprozesse und Familienrecht. Ein besonders wichtiges Thema für internationale Ehepaare oder Paare, die ins Ausland ziehen, ist die Frage nach einem Ehevertrag. Das Problem ist allerdings, dass ein in Deutschland abgeschlossener Ehevertrag im Common Law Ausland (Großbritannien, USA etc.) nicht unbedingt „hält“.

Mehr dazu in diesem Video:

Rechtsanwalt Schmeilzl ist Autor des Länderberichts „Das Familienrecht von England & Wales“ im BGB-Kommentar des Nomos-Verlags. Erhältlich im Buchhandel und im Nomos Online Shop hier.

Cross Channel Lawyers ist ein Netzwerk von Anwälten, die auf deutsch-britische und deutsch-amerikanische Rechtsfälle spezialisiert sind. Gegründet 2003 von Graf & Partner und deren Prozessrechtsabteilung. Die Familienrechtsabteilung berät internationale Paare – selbstverständlich auch LGBT-Paare – bei Fragen rund um die Themen Eheverträge und – wenn nötig – internationale Scheidung.

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Falls Sie bei einer britisch-deutschen Rechtsangelegenheit Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die deutschen Anwälte der Kanzlei Graf & Partner sowie die englischen Solicitors der Partnerkanzlei gerne zur Verfügung. Ihr Ansprechpartner in Deutschland ist Bernhard Schmeilzl, Rechtsanwalt & Master of Laws (Leicester, England), Telefon +49 (0) 941 463 7070.