Deutsch-holländische Erbfälle sind meist „tamelijk ingewikkeld“*

* ziemlich kompliziert

Deutschland und die Niederlande sind Nachbarn mit 570km gemeinsamer Grenze. Holländer arbeiten und wohnen in Deutschland. Deutsche arbeiten und wohnen in Holland. Manchmal heiraten sie sich sogar. Kommt es in einer solchen Konstellation zum Erbfall, stellt sich die Frage, ob deutsches oder niederländisches Erbrecht gilt. Und wo das Erbe versteuert werden muss.

Unterschiede zwischen holländischem und deutschem Erbrecht

Beim sogenannten „materiellen Erbrecht“, also der Frage, wer mit welcher Quote erbt (Erbfolge), gibt es zwischen Holland und Deutschland durchaus erhebliche Unterschiede. So hat zum Beispiel der überlebende Ehegatte nach holländischem Erbrecht eine erheblich bessere Position als nach deutschem Erbrecht. In Holland gilt das Prinzip der „elterlichen Nachlassverteilung“, d.h. seit der Reform des holländischen Erbrechts zum 1.1.2003 wird der überlebende Ehepartner in der Regel unmittelbar dinglicher Eigentümer des gesamten Nachlasses und schuldet den Kindern nur Geldforderungen in Höhe des Wertes ihrer Erbteile; diese schuldrechtliche Geldforderung der Kinder ist dann sogar bis zum Tod des länger lebenden Ehepartners gestundet, d.h. die Kinder erhalten zunächst einmal gar nichts. Ein gravierender Unterschied zur deutschen Erbfolge, nach der der Ehegatte in der häufigsten Konstellation (nur) die Hälfte des Nachlasses erbt und sich mit dem Kind (bzw. den Kindern) in einer Erbengemeinschaft wiederfindet.

Insgesamt sind die Regeln des niederländischen Erbrechts strenger, erlauben also keine so freie Testamentsgestaltung wie das deutsche Erbrecht. So sind in Holland zum Beispiel Erbverträge ebenso unzulässig wie die Anordnung von Vor- und Nacherbschaften. Die Details sind kompliziert.

Wann gilt also das deutsche und wann das niederländische Erbrecht?

Gemäß EU-Erbrechtsverordnung, die auf alle Todesfälle ab 17. August 2015 anwendbar ist, kommt es darauf an, wo der Verstorbene seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Zieht also ein Holländer dauerhaft nach Deutschland, so gelten für ihn plötzlich die Regeln des deutschen Erbrechts, ob er das weiß und will oder nicht. Umgekehrt natürlich ebenso, wenn ein Deutscher seinen Wohnsitz nach Holland verlegt. Wer ins Ausland umzieht, sollte sich daher informieren, was nach dortigem Recht im Erbfall gilt. Gefällt einem diese gesetzliche Erbfolge nicht, so sollte man dringend ein Testament erstellen. Die EU-ErbVO lässt nämlich zu, dass man sein „Heimatrecht“ wählt. Der niederländische Expat kann somit in einem Testament anordnen, dass im Fall seines Todes das holländische Erbrecht gelten soll. Umgekehrt natürlich ebenso.

Tipp: Wer im Internet Informationen zu internationalen Erbfällen recherchiert, muss unbedingt darauf achten, ob sich die Artikel bereits auf die neue Rechtslage ab August 2015 beziehen. Sehr viele im Internet verfügbare Beiträge zu grenzüberschreitenden Erbfällen sind seit Inkrafttreten der EU-Erbrechtsverordnung veraltet, d.h. inhaltlich schlicht falsch.

 

Und wer kassiert bei deutsch-niederländischen Erbfällen die Erbschaftsteuer?

Diese Frage ist noch komplizierter als die Frage nach dem anwendbaren materiellen Erbrecht. Die EU-ErbVO hat mit den Erbschaftsteuern nichts zu tun. Steuergesetze sind rein nationale Vorschriften. Man muss in einem deutsch-niederländischen Erbfall also immer sowohl aus deutscher wie auch aus holländischer Perspektive prüfen, ob Erbschaftsteuer anfällt. In unglücklichen Fallkonstellationen kann es auch zur Doppelbesteuerung kommen.

Das holländische Erbschaftsteuerrecht unterscheidet sich erheblich von den aus Deutschland bekannten Prinzipien. Zwar gilt sowohl in Holland als auch in Deutschland das Universalitätsprinzip (oder Weltprinzip). Das heißt, in beiden Staaten ist jeweils der gesamte weltweite Nachlass der Erbschaftssteuer unterworfen. Dabei ist völlig gleichgültig, wo der Nachlass belegen ist und ob auf diesen Nachlass (wenn und soweit er sich im Ausland befindet) bereits in einem anderen Land Erbschaftssteuer erhoben wurde. Auch wird die Erbschaftsteuer sowohl in Deutschland wie in Holland als Erbanfallsteuer vom Begünstigten (Erben, Vermächtnisnehmer etc.) erhoben. Steuerschuldner ist damit jeweils der Begünstigte selbst, etwa im Unterschied zu England, wo die Erbschaftsteuer vor Verteilung der Erbmasse als Nachlasssteuer direkt vom Nachlass abgezogen wird (Details dazu hier).

Die Ermittlung der Steuerpflicht, also die Frage, wer überhaupt Erbschaftsteuer zahlen muss, erfolgt sowohl im niederländischen wie im deutschen Erbschaftsteuerrecht nach ähnlichen Prinzipien. In den Niederlanden tritt die unbeschränkte Steuerpflicht über den weltweiten Nachlass ein, wenn der Erblasser – egal welcher Staatsangehörigkeit – in den Niederlanden seinen dauernden Wohnsitz hatte.

Bei der konkreten Berechnung der Erbschaftssteuer ist das niederländische Finanzamt jedoch deutlich rigoroser. Selbst für Kinder des Erblassers gilt bereits ab einem Erbanateil von 121.297 EUR einen Steuersatz von 20%. Zum Vergleich: in Deutschland gilt für Abkömmlinge ein vergleichbarer Steuersatz von 19% erst ab einem Zufluss von 6 Millionen Euro aufwärts.

Der Freibetrag beträgt dabei lediglich 20.047 EUR und kann nur geltend gemacht werden, wenn der Erblasser selbst in den Niederlanden ansässig war. Betrüblich, wenn man bedenkt, dass ein niederländischer Erblasser bis 10 Jahre nach einem Wegzug aus den Niederlanden dort unbeschränkt steuerpflichtig bleibt…

Zuständig und verantwortlich für die Abgabe der Steuererklärung ist übrigens der „Executeur-testamentair“ (Testamentsvollstrecker), wenn ein solcher im Testament benannt ist. Je nach Formulierung im Testament gilt dies dann auch für die ausländische Steuererklärung.

Fazit: Erben und Vererben in deutsch-holländischen Konstellationen kann daher unschöne Überraschungen mit sich bringen. Eine frühzeitige Nachlassplanung kann in diesen Fällen einiges an Ärger, Kosten und Steuern sparen.

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Familien mit Auslandsvermögen sollten bei der Erstellung ihrer Testamente besonders sorgsam sein und die praktischen Folgen des Erbfalls aus Perspektive jedes Landes durchdenken, in dem die Familie Vermögen besitzt. Wir bieten unseren internationalen Mandanten hierfür seit Jahren Fragebögen und Checklisten. Wer sich bei der Testamentsgestaltung beraten lassen möchte, findet diese Mandantenfragebögen auf der Kanzleiwebsite in deutscher und englischer Fassung hier:

Weitere Informationen finden sich auch in unseren beiden Broschüren zum deutschen und internationalen Erbrecht:

Weitere Infos speziell zu deutsch-österreichischen sowie deutsch-britischen und deutsch-amerikanischen Erbfällen finden Sie hier:

 

Die 2003 gegründete Anwaltskanzlei Graf & Partner ist spezialisiert auf die Beratung bei deutschen Erbfällen mit Bezug zu Österreich, der Schweiz sowie zu  anglo-amerikanischen Jurisdiktionen (England, Schottland, USA, Kanada, Australien und Südafrika). Wir haben lange Jahre praktischer Erfahrung mit der Abwicklung deutsch-österreichischer und deutsch-schweizer Nachlassangelegenheiten sowie deutsch-britischer, deutsch-amerikanischer und deutsch-kanadischer Erbfälle und unterstützen die Erben, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter gerne.

Wir prüfen und strukturieren den Erbfall und dessen steuerliche Auswirkungen, organisieren die in den jeweiligen Ländern nötigen Maßnahmen, nehmen auf Wunsch Kontakt zu den Erbrechtsexperten im jeweiligen Ausland auf (von USA und England über Südafrika bis Australien), und koordinieren die Nachlassabwicklung. Dies vermeidet Doppelarbeit und beschleunigt den Zugriff auf das ausländische Erbe.

Falls Sie bei einem konkreten Erbfall rechtliche Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die deutschen Anwälte der Kanzlei Graf & Partner sowie deren Partneranwälte in Österreich, der Schweiz, den Niederlanden, England, Schottland und Irland gerne zur Verfügung unter Telefon 0941 463 7070.