Deutscher Pflichtteil, auch wenn Erblasser im Ausland lebte?

Ein Pflichtteilsanspruch auf Immobilien in Deutschland kann bestehen, auch wenn der Verstorbene den gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb Deutschlands hatte

Seit Einführung der EU-Erbrechtsverordnung gilt für Erbfälle (nach August 2015), dass prinzipiell des Erbrecht desjenigen Staates anwendbar ist, in dem der oder die Verstorbene den gewöhnlichen Aufenthalt hatte (Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO). Lebte der Verstorbene also zum Beispiel in England oder USA und hat er durch wirksames Testament ein Kind enterbt, so hat dieses Kind auf den ersten Blick keinen Pflichtteilsanspruch, weil Common Law Staaten in aller Regel kein Pflichtteilsrecht für Kinder kennen (für Ehegatten dagegen möglicherweise schon).

Aber: Rückverweisung auf deutsches Erbrecht für Immobilien

Es existiert jedoch ein letzter Strohhalm, an den sich enterbte Kinder in dieser Fallkonstellation klammern können: Hatte der Verstorbene Immobilienvermögen in Deutschland, also ein Haus, eine Eigentumswohnung oder sonstiges Grundeigentum, kann ein enterbtes Kind möglicherweise wenigstens seine Pflichtteilsquote aus diesem, in Deutschland belegenen Immobilienvermögen verlangen.

Warum? Weil viele Common Law Rechtsordnungen, wie zum Beispiel England & Wales sowie die meisten Bundesstaaten der USA, das sogenannten lex rei sitae Prinzip anwenden. Das lateinische Rechtsprinzip lex rei sitae bedeutet wörtlich übersetzt „das Recht am Ort der Sache“.

Rettungsanker für Enterbte: deutsche Immobilie(n)

Besaß der in UK oder USA lebende Verstorbene also Immobilienvermögen in Deutschland, dann gilt für dieses deutsche Haus oder diese deutsche Eigentumswohnung über den Weg der Verweisung (juristisch auch „renvoi“ genannt) dann doch wieder das deutsche Erbrecht, inklusive der Regeln zum Pflichtteil.

Im Detail ist hier dennoch vieles kompliziert und strittig.

  • Was, wenn der Verstorbene im Testament das Prinzipi lex rei sitae ausschließt, also das „Erbrecht pur“ von England, Florida, Kalifornien oder New York anordnet? Geht das, oder ist das ein Verstoß gegen zwingende Rechtsregeln?
  • Was gilt bei Immobilienvermögensverwaltungsgesellschaften? Wenn der Verstorbene also zwar nicht direkt Immobilien besaß, ihm aber eine Firma gehörte, die wiederum deutsche Immobilien verwaltet? Ist das dann nur Gesellschaftsvermögen (Aktien, GmbH-Anteile) oder ist das als (indirektes) Immobilienvermögen zu bewerten, auf das die lex rei sitae Regeln anzuwenden sind?
  • Selbst wenn ein Pflichtteilsanspruch aus dem deutschen Immobilienvermögen besteht – kann das enterbte Kind diesen Anspruch in Deutschland einklagen? Gibt es hierfür also einen Gerichtsstand? Oder muss man den deutschen Pflichtteilsanspruch in England, New York oder Florida einklagen? Mit allen immensen Gerichts- und Anwaltskosten, die das mit sich bringt?

Weitere Informationen zum Pflichtteil bei internationalen Erbfällen, insbesondere den Pflichtteil im Common Law, in diesen Beiträgen:

Die 2003 gegründete Kanzlei Graf & Partner ist mit ihrer englischspachigen Prozessabteilung (GermanCivilProcedure) auf grenzüberschreitende Rechtsfälle spezialisiert, insbesondere auf deutsch-britische und deutsch-amerikanische Wirtschaftsstreitigkeiten, Scheidungen und internationale Erbfälle. Falls Sie bei einer anglo-amerikanischen Rechtsangelegenheit Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die Anwälte der Kanzlei Graf & Partner mit ihrem internationalen Netzwerk in Europa sowie im außereuropäischen englischsprachigen Rechtsraum gerne zur Verfügung. In UK, Kanada sowie den meisten großen US-Bundesstaaten verfügen wir über gute persönliche Kontakte zu Attorneys-at-Law in mittelgroßen Kanzleien.

Ihr Ansprechpartner in Deutschland ist Bernhard Schmeilzl, Rechtsanwalt & Master of Laws (Leicester, England), Telefon +49 (0) 941 – 463 7070.