Was tun bei Post von Her Majesty’s Courts & Tribunal Service
Sie wurden als deutsches Unternehmen oder als Privatperson in England verklagt und sind sich nicht sicher, wie es nun weitergeht? Können Sie den Prozess auf der Insel ignorieren, weil ein englisches Urteil (nach Brexit) in Deutschland ohnehin nicht vollstreckbar wäre? Können Sie sich vor dem englischen Gericht wenigstens selbst vertreten oder brauchen Sie zwingend einen englischen Anwalt? Was kostet der Spaß?
Hier erklären wir die Basics, wie Sie richtig reagieren, wenn eine Klageschrift aus England in Ihrem Briefkasten liegt oder ein Zusteller klingelt und von Ihnen die Unterschrift auf der Zustellurkunde verlangt.
Zunächst einmal, reagieren Sie überhaupt:
Als erstes prüfen Sie, ob Ihnen der Schriftsatz formell korrekt zugestellt wurde. Insbesondere, ob eine Übersetzung ins Deutsche beiliegt. Falls nicht, können Sie die Annahme verweigern bzw. der Zustellung widersprechen. Ebenfalls sollten Sie prüfen (lassen), ob das englische Gericht für den Rechtsstreit überhaupt zuständig ist (does the court have jurisdiction?). Wenn Sie sich nämlich inhaltlich auf den Prozess einlassen, ohne eine etwaige Unzuständigkeit des englischen Gerichts zu rügen, ist diese Rüge später möglicherweise nicht mehr möglich.
Gar nichts zu tun, ist in keinem Fall der richtige Ansatz: Ein Beklagter, der seine Verteidigungsbereitschaft nicht innerhalb der vom (englischen) Gericht gesetzten Frist anzeigt oder auf die Klage erwidert, riskiert ähnlich wie im deutschen Recht ein Versäumnisurteil (default judgment) des englischen Gerichts. Und auch wenn derzeit noch nicht klar ist, welche Regeln zur internationalen Anerkennung von Urteilen nach Wirksamwerden des Brexit (im März 2019) zwischen UK und Deutschland gelten werden, so wird es doch höchwahrscheinlich auch künftig irgendeine Art der internationalen Vollstreckbarkeit von Urteilen zwischen UK und Deutschland geben.
Wie reagiert man also?
Je nach Art des englischen Verfahrens ist der Klageschrift entweder ein sog. „acknowledgement of service“ (übersetzt Empfangsbekenntnis oder Zustellungsurkunde) oder eine „defence“ (übersetzt Verteidigungsanzeige oder Klageerwiderung) beigefügt, oder beides. Diese Dokumente müssen innerhalb einer bestimmten Frist an das englische Gericht zurückgesendet werden. Gemäß englischem Zivilprozessrecht (Civil Procedure Rules 10.3 und 15.4) beträgt diese Frist in der Regel 14 Tage. Geht das Dokument bei Gericht verspätet ein, ist ein Versäumnisurteil die Folge. Notieren Sie sich daher als erstes die in der Klage enthaltenen Fristen.
Hat der Beklagte ein „acknowledgement of service“ im Sinne des 10.3 CPR abzugeben, so ist in jedem Fall innerhalb von 28 Tagen nach Zustellung der Klagebegründungsschrift auch die „defence“ bei Gericht einzureichen. Geht diese verspätet ein, so riskiert der Beklagte ebenfalls ein Versäumnisurteil, auch wenn das Empfangsbekenntnis zunächst rechtzeitig abgegeben wurde.
Achten Sie beim „Acknowledgement of service“ unbedingt auf die richtige Form:
Das „acknowledgement of service“ muss die tatsächlich richtigen Angaben enthalten und zudem nach den Vorschriften des englischen Zivilprozessrechts ausgefüllt sein. Die englische ZPO macht hier viel strengere Formvorschriften als das deutsche Prozessrecht. Das englische Gericht kann ein Versäumnisurteil auch dann erlassen, wenn die Stellungnahme zwar rechtzeitig, aber nicht in der richtigen Form eingereicht wird.
Beantragen Sie falls notwendig Fristverlängerung:
Die Frist für die „defence“ kann durch Vereinbarung zwischen den Parteien gemäß 15.5 CPR bis auf 28 Tage oder bis zu einer anderen durch das Gericht bestimmten Frist verlängert werden.
Wenn Sie also für die Verteidigungsanzeige mehr Zeit benötigen, als das englische Zivilprozessrecht vorsieht, sollten Sie dies der Gegenpartei möglichst frühzeitig anzeigen und um deren Zustimmung bitten. Stimmt der Gegner nicht zu, müssen Sie schnellstens eine Fristverlängerung bei Gericht beantragen. Hierzu ist es zwar nicht gesetzlich vorgeschrieben, Gründe für die Verlängerung anzugeben, dies ist aber in jedem Fall sinnvoll, um Rückfragen des Gerichts zu vermeiden. Bei internationalen Verfahren ist die Verlängerung meist kein Problem.
Bleiben Sie auch bei bereits fortgeschrittener Frist nicht untätig:
Nach dem Wortlaut der Civil Procedure Rules ist ein Antrag auf Erlass eines englischen Versäumnisurteils nur erfolgreich, wenn die Frist für die Einreichung des „acknowledgement of service“ oder für die „defence“ tatsächlich abgelaufen ist:
„CPR 12.3 (1) The claimant may obtain judgment in default of an acknowledgment of service only if:
(a) the defendant has not filed an acknowledgment of service or a defence to the claim (or any part of the claim); and
(b) the relevant time for doing so has expired.
CPR 12.3(2) The claimant may obtain judgment in default of defence only
(a) where an acknowledgment of service has been filed but a defence has not been filed;
(b) in a counterclaim made under CPR 20.4, where a defence has not been filed,
and, in either case, the relevant time limit for doing so has expired.”
Auch und gerade wenn der Fristablauf bereits unmittelbar bevorsteht, sollten Sie unbedingt noch eine Fristverlängerung beantragen. Die Entscheidung hierüber liegt zwar im Ermessen des Gerichts. In den meisten Fällen wird die Verlängerung aber, vor allem in internationalen Fällen, noch bewilligt.
Ist bereits ein englisches Versäumnisurteil gegen Sie ergangen ist, wird es spannend. Auch das ist dann noch nicht in Stein gemeißelt und kann auf Antrag aufgehoben werden („Setting aside a default judgment in the UK“).
Englischer Anwalt nötig oder nicht?
Für ein Gerichtsverfahren in England werden Sie, wenn Sie den Fall gewinnen möchten, um die Beauftragung eines englischen Anwalts nicht herumkommen. Wenn es sich um keine ganz banale Angelegenheit handelt, blüht Ihnen sogar der anwaltliche Doppelpack in Form eines Solicitors und eines Barristers, mit den entsprechenden Kostenfolgen. Gerichtsverfahren im Vereinigten Königreich sind im Vergleich zu Deutschland um Faktor 3-10 teurer, umso mehr bei internationalen Konstellationen, wo ggf. Dokumente übersetzt werden müssen, ausländische Zeugen mit Dolmetscher zu hören sind und möglicherweise sogar das anwendbare materielle Recht vom Recht des Gerichtsstands abweicht, so dass Sachverständige zu ausländischen Rechtsfragen eingeschaltet werden müssen. Wir erstellen regelmäßig solche Gutachten zum deutschen Recht (Expert Reports on Foreign Law) für englische Gerichte.
Der deutsche Rechtsanwalt und Master of Laws Bernhard Schmeilzl berät seit gut 20 Jahren deutsche Firmen im englischen Recht, insbesondere in englischen Zivilprozessen, vor allem großen Wirtschaftsverfahren. Als Experte für das englische Zivilprozessrecht hat er den einzigen Praxisleitfaden zum englischen Zivilprozess in deutscher Sprache geschrieben, der im Herbst 2023 beim BECK-Verlag erscheint.
Unsere Kanzlei ist auf deutsch-britische und deutsch-amerikanische Zivilprozesse spezialisiert. Unsere britische Partnerkanzlei Buckles Solicitors gehört zu den Top 200 Kanzleien und verfügt über gut 90 Anwältinnen und Anwälte an zahlreichen Standorten, darunter London, Nottingham, Paris und Mailand. Als erste Information für Mandanten, die möglicherweise in einen Zivilprozess oder ein Wirtschaftsverfahren in England oder Wales verwickelt werden, hat die Kanzlei Buckles eine Informationsbroschüre entwickelt: Buckles Dispute Resolution Guide.
Weitere Informationen zu Rechtsstreitigkeiten vor britischen Gerichten:
– Wie sieht eine Zivilklage in England aus?
– In englischen Rechtsstreit verwickelt?
– Das angekratzte Ego des Gerichts-Sachverständigen
– Schmerzensgeldreform in UK
– UK Zivilprozessordnung und Expertengutachten in England
– Anwaltliche Versicherung in UK” (solicitor’s undertaking)
– Mandant lügt im Zivilprozess, Anwalt haftet: Harte ZPO-Regeln vor englischen Gerichten
– Mal schnell Klage einreichen? Nicht in England
– Wie im Hollywood-Spielfilm: “You have been served!” (Zustellung in UK und USA)
– Sie wollen einen EU-Titel in Großbritannien vollstrecken? Wie gut sind Ihre Nerven?
– Solicitors, Barristers, Advocates: Wer darf in England vor Gericht eigentlich was?
Die 2003 gegründete Kanzlei Graf & Partner ist mit ihrer Abteilung für britisch-deutsche Prozessführung (GP Chambers) auf grenzüberschreitende Rechtsfälle spezialisiert, insbesondere auf deutsch-britische Wirtschaftsstreitigkeiten, Scheidungen und Erbfälle. Rechtsanwalt Schmeilzl und sein Team von Prozessanwälten sind Experten für deutsch-englisches sowie deutsch-amerikanisches Recht. Falls Sie bei einer britisch-deutschen Rechtsangelegenheit Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die deutschen Anwälte und Solicitors der Kanzlei Graf & Partner sowie die englischen Solicitors der Partnerkanzlei gerne zur Verfügung. Ihr Ansprechpartner in Deutschland ist Bernhard Schmeilzl, Rechtsanwalt & Master of Laws (Leicester, England).