„Schick mir erst mal Deine Stromrechnung“ sagte der englische Anwalt

Andere Länder, andere Sitten und Gepflogenheiten, auch bei der Beauftragung eines Rechtsanwalts.

Wer einen englischen Solicitor braucht, muss erst mal zwei Original-Stromrechnungen ins Königreich schicken. Kein Scherz.

Wer einem deutschen Rechtsanwalt ein Mandat erteilt, wird vom Anwalt gebeten, eine Vollmacht zu unterzeichnen, unter Umständen auch eine Honorarvereinbarung. Ganz anders in England und vielen anderen Common Law Jurisdiktionen. Dort sind solche Vollmachten unüblich oder gänzlich unbekannt. Es genügt, wenn der englische (amerikanische) Anwalt dem Gegner mitteilt, dass er beauftragt ist; dort gibt es halt auch keinen § 174 BGB, der in manchen Konstellationen die Vorlage einer Originalvollmacht erfordert.

Dafür verlangen englische (und oft auch US-amerikanische) Rechtsanwälte (Solicitors) zur Verblüffung des potentiellen Mandanten etwas anderes, nämlich ein bis zwei sogenannte Utility Bills, also „Alltagsrechnungen“ , aus denen die Postanschrift des Mandanten hervorgeht. In der Praxis sind dies meist Stromrechnungen, Kreditkartenrechnungen oder Gemeindesteuerbescheide (Council Tax Bills). Hintergrund ist, dass das englische Berufsrecht für Anwälte sehr strenge „KYC“ Anforderungen vorschreibt. Nein, dabei geht es nicht um frittierte Hähnchenteile, sondern um die berüchtigten „Know Your Client Rules“, auch bekannt unter „Customer Due Diligence“ oder „Client Due Diligence“. Englische Solicitors sind bei diesem Thema fast paranoid und das Vorgehen, allen ernstes immer und überall zwei Original-Rechnungen von seinem potentiellen Mandanten zu verlangen, bevor man für diesen Tätig wird, ist für einen deutschen Rechtsanwalt schwer nachvollziehbar, vor allem in banalen Alltagsfällen (z.B. Autounfall), in denen gar keine hohen Geldbeträge über das Anderkonto des Anwalts laufen sollen, ein Geldwäscherisiko also völlig fern liegt..

practice-notes-anti-money-laundering

Praxisleitfaden Anti-Geldwäsche Regeln der englischen Law Society

Hintergrund dieser Gepflogenheiten bei der Mandatserteilung in UK ist die sogenannte „Anti Money Laundering Practise Note“ der English Law Society. Practise Notes sind vergleichbar der deutschen Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA). Der übergeordnete „Code of Conduct“ der Solicitor Regulation Authority“ (vergleichbar der deutschen BRAO) sagt zum Thema KYC nichts.

Chapter 4.1 dieser Practise Note lautet:

Customer due diligence (CDD) is required by the Money Laundering Regulations 2007 because you can better identify suspicious transactions if you know your customer and understand the reasoning behind the instructions they give you.

Allerdings ist die Vorschrift gar nicht so streng, wie die meisten englischen Solicitors sie in der Praxis anwenden. Chapter 4.3 ordnet nämlich keineswegs an, dass ausnahmslos von allen Mandanten Utility Bills verlangt werden müssen, sondern:

4.3.1 When is CDD required?

Regulation 7 requires that you conduct CDD when:

  • establishing a business relationship
  • carrying out an occasional transaction
  • you suspect money laundering or terrorist financing
  • you doubt the veracity or adequacy of documents, data or information previously obtained for the purpose of CDD

In einfachen Rechtsfällen ohne hohes Transaktionsvolumen ist somit gerade keine intensive CDD erforderlich. Trotzdem verlangen die Kanzleien die Nachweise, meist mit dem Argument, die Kanzlei müsse regelmäßig Prüfungen seitens der englischen Anwaltskammer über sich ergehen lassen und wenn die Case Files dann keine Nachweise enthielten, bekäme man Ärger, insbesondere negative Einträge auf der SRA Website, die dann auch für Mandanten sichtbar seien. Die eigentliche Angst der Kanzleien hat also Marketing-Gründe.

Warum aber „Utility Bills“ als Nachweis der Identität und Anschrift?

Da in UK kein Einwohnermeldeamt im deutschen Sinn existiert und die wenigsten Menschen einen Personalausweis haben, hat sich seit Jahrzehnten die Praxis eingebürgert, von den Mandanten zwei Utility Bills zu verlangen, als Nachweis dafür, dass der mandant da wohnt, wo er sagt, dass er wohnt.

Nun vermittelt unsere Kanzlei häufig deutsche Mandanten an englische Solicitors oder Barristers und mit unseren ständigen Kooperationspartnern klappt es mittlerweile auch, wenn wir diesen versichern, dass wir den KYC Check hier bereits durchgeführt haben. Manchmal schalten wir aber auch punktuell Kanzleien für Spezialgebiete oder in der englischen Provinz ein. Und da treibt es uns schon manchmal den Blutdruck in die Höhe, wenn die englische Kanzlei auch von diesen Mandanten trotzdem noch zwei Original-Utility Bills verlangt, obwohl wir den englischen Kollegen beglaubigte Abschriften gültiger deutscher Personalausweise oder sogar Einwohnermeldeamtsbestätigungen geschickt haben (natürlich mit Übersetzung). Das kennt der dortige Paralegal aber nicht, darum schickt er die höfliche, aber bestimmte Aufforderung, ob unser Mandant denn nicht bitte noch Utility Bills vorlegen könnte (natürlich auch diese wieder mit Übersetzung).

Nach 15 Jahren Anwaltstätigkeit in deutsch-britischen Rechtsfällen haben wir es uns aber im Interesse unserer Mandanten abgewöhnt, solche Dinge in Frage zu stellen und mit den englischen Kollegen zu diskutieren, etwa darüber, wie fälschungssicher denn solche Rechnungen in Zeiten von Photo Shop und Farbkopierer sind. Denn wie man am Brexit Vote erst vor kurzem wieder erleben durfte: The British want it their way. Es gilt die auch deutschen Beamten bekannte Regel: Das haben wir schon immer so gemacht.

Also, wer einen englischen Rechtsanwalt braucht und möchte, dass dieser möglichst rasch für ihn tätig wird, sollte schon mal einige Rechnungen seines kommunalen Strom- oder Wasserversorgers sammeln.

Übrigens: Honorarvereinbarungen mit Anwälten sind in UK und USA natürlich auch üblich und mangels Rechtsanwaltsvergütungsgesetz auch nötig. Die Honorarvereinbarung (Fee Agreement) erfolgt in der Regel über einen sogenannten Lawyer Engagement Letter, der gut und gerne 6-8 Seiten lang sein kann und neben den Stundensätzen auch zahlreiche Hinweise an den Mandanten enthält. Der Mandant wird gebeten, diesen Letter gegenzuzeichnen und zurück zu schicken. Dieser Engagement Letter ist aber nur für den internen Gebrauch. Es ist gerade keine Anwaltsvollmacht im deutschen Sinn, da der Engagement Letter keinem Dritten gegenüber als Mandatierungsnachweis verwendet wird.

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Das anglo-deutsche Anwaltsteam der Kanzlei Graf & Partner spezialisiert sich seit 2003 auf deutsch-britische Rechtsfragen. Die Prozessabteilung GP Chambers berät und vertritt deutsche wie britische Unternehmen in Arbitrationverfahren wie in Gerichtsprozessen.

In geeigneten Fällen führen die Anwälte und Solicitors von Graf & Partner auch Mediationen durch, falls gewünscht auch unterstützt durch Dritte, etwa Vertreter von deutsch-britischen Handelskammern oder Branchenexperten.

Weitere Informationen zu Rechtsstreitigkeiten mit Briten oder vor britischen Gerichten, zur englischen Zivilprozessordnung, Prozessführung und Zwangsvollstreckung in UK in diesen Posts:

Wie sieht eine Zivilklage in England aus?

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Sie wollen einen EU-Titel in Großbritannien vollstrecken? Wie gut sind Ihre Nerven?

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Die 2003 gegründete Kanzlei Graf & Partner ist mit ihrer Abteilung für britisch-deutsche Prozessführung (GP Chambers) auf grenzüberschreitende Rechtsfälle spezialisiert, insbesondere auf deutsch-britische Wirtschaftsstreitigkeiten, Scheidungen und Erbfälle.

Falls Sie bei einer britisch-deutschen oder amerikanisch-deutschen Rechtsangelegenheit Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die deutschen Anwälte und Solicitors der Kanzlei Graf & Partner sowie die englischen Solicitors der Kanzlei Lyndales gerne zur Verfügung. Ihr Ansprechpartner in Deutschland ist Bernhard Schmeilzl, Rechtsanwalt & Master of Laws (Leicester, England).

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