Der vorläufige Erbschein in England (Ad Colligenda Bona)

Wie schützt man den Nachlass in UK, solange die Erben unbekannt sind?

Es kommt erstaunlich häufig vor, dass – meist sehr alte Menschen – ohne Testament versterben und niemand weiß, wer die nächsten Verwandten sind. Vor allem bei internationalen Familienkonstellationen. Aktuell suchen allein in Großbritannien mehr als 7.300 Nachlassvermögen einen gesetzlichen Erben. Details hier:

Die Stunde der Heir Hunter

In diesen Situationen werden meist Erbenermittler aktiv, in UK und USA martialisch „Heir Hunters“ genannt. Da diese aber in mühsamer Kleinarbeit Dokumente recherchieren und bei diversen Ämtern beantragen müssen, oft im Ausland und oft aus einer Zeit vor dem 2. Weltkrieg, dauert das mindestens Monate, oft sogar Jahre.

In der Zwischenzeit muss sich aber jemand um das Nachlassvermögen kümmern. Vielleicht handelt es sich um eine (vermietete) Immobilie oder Geldanlagen, die sich im freien Fall befinden. Aber auch eine nicht vermietete Immobilie kann man nicht mehrere Winter über leer stehen lassen und sie ungeschützt der englischen Witterung aussetzen. Jedenfalls müssen Versicherungen abgeschlossen bzw. verlängert und Grundsteuern bezahlt werden.

All diese Aufgaben der Nachlasssicherung würde in Deutschland ein vom Gericht bestellter Nachlasspfleger übernehmen.

Nachlasspflegschaft in England

In England läuft das etwas anders. Hier beantragt jemand, der ein Interesse am Nachlass hat, zum Beispiel ein Erbenermittler oder ein englischer Anwalt, ein vorläufiges und kompetenzmäßig beschränktes Nachlasszeugnis. Die Fachterminologie dafür lautet „Letters of Administration Ad Colligenda Bona„, frei übersetzt: Nachlasszeugnis zum Zweck, die Nachlassgegenständige „einzusammeln“, bei Immobilien also meist, diese zu verkaufen und den Erlös auf einem Treuhandkonto für die (noch unbekannten) Erben zu verwahren.

In der Praxis sieht ein solcher Letters of Administration Ad Colligenda Bona so aus (Daten sind natürlich unkenntlich gemacht):

Anonymisiertes Beispiel eines echten Ad Col Grant aus 2021

Wie man aus der letzten Zeile ersieht, geht es immerhin um 1,2 Millionen Pfund Nachlasvermögen.

Antragsvoraussetzungen

Die englischen Nachlassgerichte (Probate Registries) sind allerdings zurückhaltend bei der Erteilung dieses vorläufigen Nachlasszeugnisses, den die Praktikeranwälte in England kurz „Ad Col grant“ nennen.

Wer einen solchen Ad Col grant beantragt, muss schon darlegen, warum dieser nötig ist, warum dem Nachlass also Gefahr droht und man nicht abwarten kann, bis die „richtigen Erben“ gefunden sind, die dann gleich den „richtigen“ Letter of Administration beantragen.

Ist der Ad Col grant erteilt, darf der darin genannte Administrator auch nur die unbedingt erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Dies steht ausdrücklich im Grant selbst, siehe oben, vierter Absatz:

„…the grant is limited for the purpose of collecting in and receiving the estate and to taking such steps as are necessary for the preservation of the estate …“

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