Was passiert mit Erbschaften in UK, wenn die Erben unbekannt sind?
Verstirbt jemand in Großbritannien und es kümmert sich niemand um den Nachlass, kommt der Erbfall nach einigen Monaten auf die „bona vacantia“ Liste, also das offizielle Verzeichnis der „unclaimed estates“. Übersetzt bedeutet „bona vacantia“ soviel wie „verlassene Güter“ oder „Vermögen ohne Besitzer“.
Die staatliche Behörde, die sich in Großbritannien um solche verwaisten Erbschaften kümmert, ist das „Bona Vacantia Department (BVD)“, eine Abteilung des „Government Legal Department„, also dem Justizamt der britischen Regierung (nicht zu verwechseln mit dem Justizministerium).
Die offizielle „list of unclaimed estates“ dieser britischen Behörde, die etwa wöchentlich aktualisiert wird, kann man hier einsehen und sogar als Excel-Datei herunterladen. Zur Zeit, als ich diesen Beitrag erstelle, stehen auf dieser Liste 7.363 britische Erbfälle, bei denen unbekannte Erben gesucht werden.
Meldet sich niemand, der die englische Erbschaft für sich beansprucht, fällt der Nachlass ganz am Ende dem englischen Staat zu, wie es dort romantisch heißt „Der Krone“.
Viele dieser verlassenen, unbeanspruchten Erbschaften sind natürlich finanziell wenig lukrativ, denn die Verwandten reicher Verstorbener melden sich meist. Ab und zu kommt es aber doch vor, dass in Großbritannien jemand verstirbt, der dort keine Verwandten hatte und der auch kein Testament hinterlassen hat, der aber durchaus erhebliches Vermögen besaß. Vor allem die Immobilienpreise sind in UK ja der Vermögenstreiber. Hat jemand vor 40 oder 50 Jahren ein Haus oder eine Wohnung in London gekauft, dann hat sich der Wert bis zum Erbfall vervielfacht. Langjährige Hausbesitzer in guten Lagen sitzen in UK daher nicht selten auf einem Millionenvermögen, auch wenn sie zeitlebens gar nicht so spektakulär verdient haben.
Wenn der Erbenermittler anruft
Auf diese Liste der verlassenen Erbschaften stürzen sich natürlich hunderte von sogenannten Erbenermittlern, die dann versuchen, die unbekannten Erben zu ermitteln. Meist handelt es sich ja um entfernte Verwandte im Ausland, die vom Tod ihres englischen Verwandten noch nichts mitbekommen haben.
Solche Erbenermittler bieten dann in der Regel an, den „Kontakt herzustellen“, also den Namen des verstorbenen Verwandten in England preiszugeben, und die „Nachlassabwicklung zu beschleunigen“. Vorher soll man aber natürlich einen Vermittlungsprovisionsvertrag unterschreiben, der dem Erbenermittler ein Honorar von 15 bis hin zu 30% aus der Erbmasse zusagt. Manchmal verlangen die Erbenermittler ihre Provision sogar aus dem Bruttonachlass, also vor Abzug der Nachlassschulden (Passiva) und der Erbschaftsteuer.
Auf einen solchen Provisionsvertrag sollte man sich – wenn es um Erbschaften in England geht – auf keinen Fall vorschnell einlassen. Denn – wie oben gesehen – sind viele relevante Informationen in UK völlig unproblematisch öffentlich zugänglich. Spätestens wenn ein Erbenermittler anruft, muss man halt überlegen, welche Verwandten in Großbritannien leben und dann deren Namen in der Bona Vacantia Liste suchen.
In den USA ist das naturgemäß erheblich komplizierter, siehe diesen Beitrag
Leere Versprechen der Erbenermittler
Soweit Erbenermittler versprechen, dass die Nachlassabwicklung angeblich schneller geht, wenn man sie beauftragt, ist das eine gewagte These. Denn Beschleunigen können die Erbenermittler bei englischen Erbscheinsverfahren in der Regel gar nichts. Die Erbscheinsantrags- und Erbschaftsteuerformulare sind kompliziert und müssen von juristischen Profis ausgefüllt werden. Diese Probate Application Procedure habe ich ausführlich in diesem Beitrag erklärt
Betrüger mit der Masche „Erbfall in England“
Spätestens jetzt können Sie auch nicht mehr auf Betrüger hereinfallen, die Ihnen eine wilde Räuberpistole erzählen, dass ein sehr reicher Mensch in Großbritannien verstorben sei, der den selben Nachnamen hatte wie Sie. Die Bank oder ein angeblicher englischer Anwalt oder gar ein englisches Gericht würde Ihnen deshalb diese Erbschaft gerne auszahlen, wenn Sie nur vorher eine Gebühr oder ein Geldwäschezertifikat oder englische Steuern überweisen.
Alles frei erfunden und völliger Blödsinn! Banken zahlen nichts ohne einen echten staatlichen Erbschein aus. Fragen Sie einen solchen Betrüger einfach danach, unter welcher Nummer der Erbfall denn in der Bona Vacantia Liste steht. Sie werden von dem Kriminellen nie wieder hören.
Weitere Informationen zum Thema Betrug mit der Masche Erbschaftsschwindel finden Sie in diesen Beträgen:
Falls Sie bei einer anglo-amerikanischen Rechtsangelegenheit sowie in Fragen zur internationalen Erbschaftsteuer Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die Anwälte der Kanzlei Graf & Partner mit ihrem internationalen Netzwerk in Europa sowie im außereuropäischen englischsprachigen Rechtsraum gerne zur Verfügung. In UK, Kanada sowie den meisten großen US-Bundesstaaten verfügen wir über gute persönliche Kontakte zu Attorneys-at-Law in mittelgroßen Kanzleien.
Weitere Infos zum internationalen Erbrecht und zur Erbschaftsteuer in Deutschland, UK, USA und anderen Ländern:
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