Schottland ist nicht England: Vorsicht im Erbrecht und Familienrecht

Auf der britischen Insel existieren zwei ganz verschiedene Rechtssysteme nebeneinander. Gewaltige Unterschiede gibt es vor allem im Erbrecht und Familienrecht. Hier einige Beispiele: Testament und Erbrecht in England und Schottland

Das Verhältnis der Schotten und Engländer ist nicht frei von Spannungen. Zwar geht es zwischen den beiden Völkern nicht mehr so wild zu wie zu Zeiten von Braveheart, aber tief im Herzen betrachten sich die Schotten dennoch als recht verschieden von den Engländern. Politisch sind sie sozialer, europafreundlicher und die Schotten haben – was oft übersehen wird – auch ein völlig anderes Rechtssystem als England & Wales.

Auf den ersten Blick denken viele, das Vereinigte Königreich (United Kingdom, Details hier) habe ein einheitliches, homogenes Rechtssystem. Weit gefehlt! Das schottische Recht basiert – wie das deutsche – vor allem auf den römischen Traditionen. Deshalb ist das Zivilrecht Schottlands in vielen Punkten dem deutschen Recht viel näher als dem englischen Recht, das vor allem auf Präjudizien (Case Law ) und „Equity“ beruht.

Besonders groß sind die Unterschiede im Familien- und Erbrecht. Ein sehr praxisrelevantes Beispiel: In Schottland haben Kinder und Ehegatten – wie in Deutschland – ein Pflichtteilsrecht (Legal Rights, Prior Rights) und können faktisch kaum komplett enterbt werden.

In England (genauer gesagt in England & Wales) dagegen gibt es kein Pflichtteilsrecht, sondern nur ganz ausnahmsweise einen Billigkeitsanspruch (Family Provision), wenn das enterbte Kind bzw. der überlebende Ehegatte nachweist, dass es bedürftig ist und eine völlige Enterbung unter Billigkeitsgesichtspunkten nicht zumutbar ist. Eine extrem hohe Hürde und die Beweislast liegt beim Kind bzw. beim überlebenden Ehegatten. In Schottland dagegen, spielt die Bedürftigkeit keine Rolle. Der gesetzliche Pflichtteil der Abkömmlinge und des Ehegatten existiert nach schottischem Erbrecht (wie auch nach deutschem Erbrecht) in jedem Fall und unabhängig von der finanziellen Situation den Anspruchsberechtigten. Allerdings steht der überlebende Ehegatten im Vergleich zu den Kindern nach englischem Erbrecht tendenziell besser als die Kinder.

Wer als international beratender Anwalt (etwa im deutsch-britischen Familienrecht, Erbrecht oder Arbeitsrecht) also davon ausgeht, dass englische Rechtsprinzipien automatisch auch in Schottland gelten, kann die Nummer seiner Berufshaftpflicht schon mal in der Schnellwahlliste speichern.

Formelle Anforderungen an englische und schottische Testamente

Auch optisch und hinsichtlich der Formalia unterscheiden sich Testamente in England & Wales von denen in Schottland. Ein englisches Testament muss von zwei Zeugen bestätigt sein (Details hier). Ein fehlendes Datum macht das englische Testament nicht automatisch ungültig. Mehr zu den Formerfordernissen an ein Testament in England & Wales sowie ein Muster-Formulierungsbeispiel eines englischen Last Will & Testament hier.

In Schottland dagegen genügt ein Witness. Dafür muss die Zeugenklausel (Witness Testing Clause) in einem schottischen Testament zwingend ein Datum enthalten. Außerdem, und das wird sehr häufig übersehen, muss des Testamentsersteller (Testator bzw. Testatrix genannt) das schottische Testament auf jeder Seite unterzeichnen. Ein englisches Testament muss dagegen nur ganz am Schluss unterschrieben werden.

Interessant ist auch, dass Testierfähigkeit nach schottischem Erbrecht bereits mit zwölf Jahren gegeben ist und man in Schottland bereits mit 16 Jahren zum Executor bestellt werden kann. In England dagegen muss man für beides mindestens 18 Jahre alt sein. Das raue schottische Klima führt nach Ansicht des schottischen Zivilrechts offenbar zu früherer Reife.

Auch eine Eheschließung sowie die Geburt von Kindern nach Erstellung eines Testaments hat in Schottland andere Auswirkungen als in England & Wales. In England wird ein Testament automatisch unwirksam, wenn der Testator später heiratet (es sei denn, das Testament wurde bereits im Hinblick auf die kurz bevorstehende Hochzeit erstellt und der Testator erwähnt dies ausdrücklich im Testament). In Schottland dagegen bleibt ein früher erstelltes Testament auch nach einer Heirat wirksam. Übrigens auch nach einer Scheidung. Ein schottischer Testator muss also in jedem Fall aktiv sein Testament ändern oder widerrufen, wenn er die früheren letztwilligen Verfügungen beseitigen will. Das übersehen viele Engländer, die nach Schottland umziehen.

Die Geburt eines Kindes macht ein früher erstelltes Testament nach schottischem Erbrecht anfechtbar (voidable). Überhaupt werden Kinder, wie oben bereits gezeigt, nach schottischen Erbrecht besser versorgt als nach englischem Inheritance Law. Es ist in Schottland faktisch unmöglich, die leiblichen Kinder oder Enkel erbrechtlich völlig leer ausgehen zu lassen. Eine offensichtliche Parallele zum deutschen Pflichtteilsrecht.

Aufbewahrung eines Testaments und Erbscheinsverfahren in England und Schottland

Auf bei der Verwahrung von Testamenten (Storage of Wills) gibt es in den beiden Jurisdiktionen große praktische Unterschiede: In England kann man sein Testament beim lokalen Nachlassgericht (District Registry and Probate Sub‐Registry) in Verwahrung geben, wobei allerdings viele Testamentsersteller ihr Testament beim Anwalt (Solicitor) hinterlegen, der ihnen bei der Erstellung geholfen hat und der in vielen Fällen dann später ohnehin als Executor fungieren soll.

In Schottland dagegen gibt es keine Möglichkeit der Hinterlegung beim Nachlassgericht und die meisten schottischen Testamente werden daher privat verwahrt. Nach dem Erbfall und nach Abwicklung der Erbscheinsformalitäten (Confirmation) werden die originalen Testamentsurkunden an „The Books of Council and Session“ übersandt und dort für alle Ewigkeit verwahrt. Mehr dazu hier: Ein Fall für den Sheriff: Testamentseröffnung und Erbschein in Schottland

Dass sich auch das Erbscheinsverfahren in England und Schottland deutlich unterscheidet, haben wir bereits hier ausführlich erläutert.

Fazit: Es gibt kein „britisches Testament“, keinen „UK Will“, sondern man muss das schottische und das englische Erbrecht und Erbscheinsverfahren jeweils streng auseinander halten.

Weitere allgemeine Informationen zu Erbrecht, Nachlassabwicklung und Erbschaftsteuer in Deutschland, England und Schottland siehe:

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Die 2003 gegründete Kanzlei Graf & Partner ist mit ihrer Abteilung für britisch-deutsche Prozessführung auf grenzüberschreitende Rechtsfälle spezialisiert, insbesondere auf deutsch-britische Wirtschaftsstreitigkeiten, Scheidungen und Erbfälle. Falls Sie bei einer britisch-deutschen Rechtsangelegenheit Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die deutschen Anwälte und Solicitors der Kanzlei Graf & Partner sowie die englischen Solicitors unserer Partnerkanzlei Buckles Solicitors gerne zur Verfügung. Ihr Ansprechpartner in Deutschland ist Bernhard Schmeilzl, Rechtsanwalt & Master of Laws (Leicester, England), Telefon +49 (0) 941 – 463 7070.

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2 Comments

  • […] Obwohl Schottland (zusammen mit England, Wales und Nordirland) zum Vereinigten Königreich gehört (Details hier), gelten dort andere Gesetze als in England, auch und gerade beim Erbrecht. Die Erbschaftssteuer ist zwar identisch (40% auf alles Nachlassvermögen, das den Freibetrag von derzeit 325.000 Pfund übersteigt, Details hier) und auch die formellen Anforderungen an ein Testament sind noch recht ähnlich: Das Testament muss schriftlich erstellt werden (anders als in Deutschland kann es, muss aber nicht handschriftlich sein) und sowohl vom Testierenden als auch einem erwachsenen Zeugen, der im Testament nicht selbst begünstigt sein soll, unterschrieben werden. Details zur Testamentserstellung in Schottland in diesem Beitrag hier. […]

  • […] Wichtig: In Schottland ist das Erbrecht übrigens völlig anders geregelt. Hier existiert für die Kinder und den überlebenden Ehegatten ein Pflichtteilsanspruch, der dem deutschen Recht nahe kommt. Mehr dazu hier. […]