Geerbt in USA? Hier ein praktischer Leitfaden, wie man an das Erbe kommt.

In anglo-amerikanischen Ländern werden Erbfälle anders abgewickelt als in Deutschland. Während nach dem deutschen BGB der Erbe (oder die Erbengemeinschaft) direkt in die Rechtsposition des Verstorbenen nachrückt (sog. Direkterwerb), gibt es in den anglo-amerikanischen Rechtsordnungen (Großbritannien, USA, Australien, Kanada, Südafrika usw.)  immer einen Zwischenschritt: Dort nimmt ein sogenannter Personal Representative den Nachlass in Besitz und wickelt zunächst die Schulden und Steuern ab. Erst danach verteilt der Personal Representative die verbleibende Erbmasse (genannt „Residuary Estate“ oder „Net Estate“) an die Begünstigten (genannt „Beneficiaries“ in Großbritannien oder „Heirs“ in den USA). Die Abwicklung eines Erbfalls in USA ähnelt somit eher dem österreichischen Verlassenschaftsverfahren (Details hier), als dem deutschen Nachlassverfahren. Zum Erbscheinsverfahren in Großbritannien hier.

Grundzüge des Erbscheinsverfahrens in den USA

Nicht nur zwischen Deutschland und den anglo-amerikanischen Rechtsordnungen sind die Regeln der Nachlassabwicklung ganz verschieden, auch innerhalb der Common Law Länder selbst gibt es erhebliche Unterschiede, sowohl was die Fachbegriffe (Probate Terminology) angeht, als auch was die Rolle des Nachlassgerichts betrifft. In England hält sich das Nachlassgericht (dort „Probate Registry“ genannt) fast völlig aus der praktischen Abwicklung des Erbfalls heraus, solange sich niemand über den Executor bzw. Administrator beschwert oder einen Antrag auf ein streitiges Erbscheinsverfahren (Contentious Probate) stellt. Im Normalfall beschränkt sich die Tätigkeit des englischen Nachlassgerichts somit darauf, das Nachlasszeugnis (Grant) zu erteilen. Danach hört das englische Gericht nie wieder etwas von diesem Erbfall (wie übrigens auch in Deutschland).

Anders in vielen US-amerikanischen Bundesstaaten: Die amerikanischen Nachlassgerichte übernehmen oft eine viel aktivere Rolle (näher der Nachlassabwicklung in Österreich) und überwachen die Maßnahmen des Personal Representative.  Dieser muss dem Gericht über seine Aktivitäten der Nachlassabwicklung berichten, vergleichbar der Berichtspflicht eines deutschen Betreuers gegenüber dem Betreuungsgericht. So darf etwa im Bundesstaat New York ein Executor bzw. Administrator die verbleibende Erbmasse erst an die Erben verteilen, nachdem das New Yorker Nachlassgericht (Surrogate‘s Court) die Verteilung genehmigt hat („Authorize Distribution“). Hierzu muss der Personal Representative darlegen, dass alle Nachlassverbindlichkeiten und die Erbschaftsteuern (Estate Taxes) bezahlt sind.

Nachlassabwicklung in den USA am Beispiel New York

Das Erbscheinverfahren in New York heißt „Probate Proceeding“, wenn ein Testament existiert und „Estate Administration“, wenn der Erblasser ohne Testament verstarb. Zuständig für das Nachlassverfahren in New York ist der Surrogate’s Court. Zwar übernimmt das Nachlassgericht in New York nicht gleich selbst die Abwicklung und Verteilung des Nachlasses (wie der vom österreichischen Verlassenschaftsgericht bestellte Gerichtskommissionär), aber es überwacht die Tätigkeit des Nachlassabwicklers und genehmigt am Ende die Verteilung an die begünstigten Erben.

Ist ein am Nachlassverfahren Beteiligter mit dem Personal Representative unzufrieden, weil dieser zum Beispiel nicht sorgfältig arbeitet oder Interessenskonflikte bestehen, kann er sog. „Accounting Proceedings“ verlangen, vergleichbar mit der Anordnung einer Nachlassverwaltung in Deutschland. In Extremfällen kann man auch beantragen, dass der Personal Representative abgesetzt wird (Removal). Gründe für eine Absetzung des Nachlassverwalters sind zum Beispiel:

  • Schlechtes Finanzmanagament (financial mismanagement)
  • Verschaffen eines eigenen Vorteils (personally profiting from the fiduciary position)
  • Verstoß gegen klare Anweisungen des Testaments oder des Gerichts (acting against wishes in the will or against court orders)
  • Verheimlichen von Tatsachen (hiding facts from the court or the beneficiaries)

Man sollte diese letzte Eskalationsstufe aber nicht zu früh zünden, weil ein Rechtstreit über die Frage, ob ein Nachlassabwickler seine Pflichten so grob verletzt hat, dass er abgesetzt werden muss, die Nachlassabwicklung um Monate oder Jahre verzögern kann.

Checkliste für Abwicklung eines Erbfalls in New York

Zusammengefasst, erfolgt die Abwicklung eines Erbfalls durch den Personal Representative in New York somit in folgenden Schritten:

  • Erteilung des Grant an den Personal Representative
  • Inbesitznahme des Nachlasses (Collection), Erstellung eines Nachlassverzeichnisses (Estate Inventory) und Bewertung der Vermögenswerte im Nachlass, wo nötig durch ein Gutachten (Appraisal of Assets). Dieses Nachlassverzeichnis wird dann beim New York Surrogate’s Court eingereicht (Filing of Estate Inventory).
  • Nachlassverbindlichkeiten und Erbschaftsteuern (Estate Taxes) werden bezahlt, wobei der überlebende Ehegatte und die Kinder (soweit vorhanden) vorab kleine Auszahlungen erhalten.
  • Nachdem alle Verbindlichkeiten beglichen sind, überträgt der Personal Representative das verbleibende Nachlassvermögen an die Erben, entweder nach den Anordnungen im Testament oder nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge in New York (Distribution of an Intestate Estate).

Weitere Infos zu Erbrecht, Nachlassabwicklung und Erbschaftsteuer in USA finden Sie hier:

Die 2003 gegründete Kanzlei Graf & Partner ist mit ihrer englischspachigen Prozessabteilung (GermanCivilProcedure) auf grenzüberschreitende Rechtsfälle spezialisiert, insbesondere auf deutsch-britische und deutsch-amerikanische Wirtschaftsstreitigkeiten, Scheidungen und internationale Erbfälle. Falls Sie bei einer anglo-amerikanischen Rechtsangelegenheit Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die Anwälte der Kanzlei Graf & Partner mit ihrem internationalen Netzwerk in Europa sowie im außereuropäischen englischsprachigen Rechtsraum gerne zur Verfügung. In UK, Kanada sowie den meisten großen US-Bundesstaaten verfügen wir über gute persönliche Kontakte zu Attorneys-at-Law in mittelgroßen Kanzleien.

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