Wenn der Mandant frägt: Was wissen Sie eigentlich über das Erbrecht des US-Bundesstaates Kansas?
Statistisch gesehen handelt es sich bei Nachrichten über eine Erbschaft aus England oder USA mit großer Wahrscheinlichkeit um Betrugsversuche. Wir haben in diesem Blog schon mehrfach gezeigt, wie man diese Betrüger entlarvt (siehe die Links am Ende des Beitrags).
In diesem Post hier sollen aber diejenigen Fälle Thema sein, in denen tatsächlich ein in den USA lebender Verwandter oder Freund verstorben ist, von dem man etwas geerbt hat, entweder weil man im amerikanischen Testament bedacht wurde oder weil der Verwandte ohne Testament verstorben ist und man deshalb gesetzlicher (Mit-)Erbe wurde. Wobei der Begriff „Erbe“ im anglo-amerikanischen Erbrecht stets mit Vorsicht zu genießen ist, weil es dort in der Regel gerade keinen Direkterwerb des Nachlasses gibt. Vielmehr muss ein Executor oder Administrator den Nachlass in Besitz nehmen, die Verbindlichkeiten begleichen und den Nachlass dann aktiv übertragen (mehr dazu hier).
Vergleichsweise unproblematisch sind solche deutsch-amerikanischen Erbfälle, wenn der in USA verstorbene Erblasser ein wirksames US-Testament hinterlassen hat, in dem ein Executor vor Ort bestimmt ist, der sich um die Nachlassabwicklung kümmern soll. Dieser Executor in USA wird sich dann mit dem deutschen Begünstigten (Miterbe oder Vermächtnisnehmer) in Verbindung setzen und zu gegebener Zeit das Vermögen transferieren. Dies erfolgt je nach Fallkonstellation mit oder ohne Abzug von Erbschaftssteuern in den USA, abhängig von den Anordnungen im Testament, der Art des Vermögens und dem jeweiligen US Bundesstaat, in dem sich der Erblasser bzw. das Nachlassvermögen befand (als ersten Einstieg zur US Estate Tax siehe hier).
Verstarb der Erblasser in den USA ohne wirksames Testament, greift also die gesetzliche Erbfolge, wird es mühsam. Insbesondere, wenn der Verstorbene bereits alt, unverheiratet und kinderlos war, eben die typische Erbtante oder der typische Erbonkel. Denn dann gibt es in der Regel viele Nichten, Neffen, Großnichten und Großneffen und so weiter, die alle mit kleinen Anteilen am Nachlass (Estate) beteiligt sind. Sechzehntelanteile oder noch kleinere Splitterbeteiligungen an den US-Erbschaft sind dann keine Seltenheit. Übrigens: Die Terminologie bei Verwandtschaftsverhältnissen ist verwirrend, da die deutsche und englische Sprache verschiedene Begriffe verwenden: deutsche Neffen sind im englischen nicht immer nephews (siehe hier).
Der Verwaltungsaufwand ist dann oft höher als der Wert der Beteiligung am Nachlassvermögen, denn nicht alle Erbtanten und Erbonkel sind reich. Kosten von mehreren hundert Euro nur für die Korrespondenz laufen schnell auf: Es müssen in solchen Fällen ja viele Erklärungen vor einem Notar abgebenen und sogar mit Apostille versehen werden, Originalurkunden müssen übersetzt und dann mit teurem Kurierdienst nach USA geschickt werden.
Einfache Lösung: Verzicht gegen Abfindung (Disclaimer of Interest)
Wie scheidet man als deutscher „Miterbe“ (besser Mitbegünstigte) eines US-amerikanischen Nachlassfalls (in Wahrheit ist es keine Miterbengemeinschaft nach deutschen Verständnis) also möglichst unbürokratisch und schnell aus der „Erbengemeinschaft“ aus?
Das Erbrecht der meisten US-Bundesstaaten bietet hierfür die Möglichkeit einer Art Verzichtserklärung (Disclaimer of Interest in Property), die der „Miterbe“ unterzeichnet und damit seinen Anteil (Interest) am Nachlass auf eine andere Person überträgt. Dies erfolgt in der Regel gegen Zahlung eines bestimmten Abfindungsbetrags (for value received).
Ein Beispiel aus dem US-Bundesstaat Kansas: Dort regelt Chapter 59 (Probate Code) der Kansas Statutes in den Sections 2291 et seq.
59-2291. (a) A person or the personal representative of a person may disclaim in whole, in part or in an undivided part any real or personal property, or any interest therein or power thereover, passing upon death of another to such person as: (1) Heir; (2) next of kin; (3) devisee; (4) legatee; (5) a person succeeding to a disclaimed interest; (6) beneficiary under a testamentary instrument; (7) beneficiary under an insurance policy; (8) joint owner with a right of survivorship in real or personal property, to the extent the survivor may take more than the survivor’s equitable portion of the property; (9) a person named to take on the death of the other person; (10) donee of a power of appointment; (11) beneficiary under the terms of an inter vivos trust; or (12) a person designated to take pursuant to a power of appointment exercised by or under a testamentary instrument.
(b) Disclaimer pursuant to this act shall be made by filing a written instrument and giving notice thereof in the manner hereinafter provided. The instrument shall: (1) Describe the property, interest or power subject to the disclaimer, (2) contain a declaration of disclaimer and the extent thereof and (3) be signed and acknowledged by the disclaimant.
(c) Notwithstanding the provisions of subsections (a) and (b), a disclaimer shall only be valid to the extent that it does not conflict with K.S.A. 39-709 and amendments thereto.
Alles klar? Nun, so tragisch ist es in der Praxis auch wieder nicht. Wer aus der Gemeinschaft der Begünstigten des US-Erbfalls ausscheiden will, unterzeichnet vor einem Notar oder Konsularbeamten ein solches Formular hier.
Damit ist er dann nicht mehr am Nachlassverfahren in USA beteiligt, muss also vom Administrator und vom amerikanischen Probate Court nicht mehr wegen jeder Verfügung angeschrieben und informiert werden. Andererseits erhält er dann aber auch keine Informationen mehr, etwa falls der Nachlass doch größer ist als zunächst gedacht.
Verwirrend ist, selbst für Rechtsanwälte, die regelmäßig im internationalen Erbrecht tätig sind, dass die Fachbegriffe des englischen Erbrechts sich erheblich von denen des US-amerikanischen Erbrechts unterscheiden. Ja selbst von US-Bundesstaat zu US-Bundesstaat können die Rechtsbegriffe des Erbrechts und des Erbscheinsverfahrens abweichen. Nachlass heißt in Großbritannien zum Beispiel „Estate“, in Kansas und vielen anderen US-Bundesstaaten dagegen „Property“. Property wiederum steht in UK für Immobilienbesitz, der in USA meist mit „real estate“ übersetzt wird. Während ein „gesetzlicher Erbe“ in Großbritannien noch am besten mit „beneficiary according to intestate rules“ übersetzt werden kann (einen „Erben“ im deutschen Rechtssinn gibt es dort ja nicht), so heißt er in Kansas und vielen anderen Bundesstaaten „heir at law“. Klingt für einen deutschen Erbrechtsanwalt sehr nach einem Erben deutscher Prägung. Ist er aber trotz des Begriffes „heir“ gerade nicht: In den meisten US-Bundesstaaten haben die heirs at law kein direktes Zugriffsrecht, es muss vielmehr trotzdem ein Administrator vom US Probate Court (das in England Probate Registry heißt) ernannt werden, der die Abwicklung des Estate vornimmt.
Es ist daher einigermaßen mutig, wenn sich mancher deutsche Anwalt als Spezialist für Legal English bezeichnet (mehr dazu hier). Unsere Kanzlei spezialisiert sich seit 2003 auf deutsch-britische und deutsch-amerikanische Erbfälle und Nachlassabwicklungen. Dennoch stoßen wir in manchen Gegenden Amerikas immer wieder auf neue und leicht abweichende Fachbegriffe des Erbrechts.
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Die 2003 gegründete Kanzlei Graf & Partner ist mit ihrer Abteilung für britisch-deutsche Prozessführung (GP Chambers) auf grenzüberschreitende Rechtsfälle spezialisiert, insbesondere auf deutsch-britische sowie deutsch-amerikanische Wirtschaftsstreitigkeiten, Scheidungen und Erbfälle. Falls Sie bei einer britisch-deutschen Rechtsangelegenheit Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die deutschen Anwälte und Solicitors der Kanzlei Graf & Partner sowie die englischen Solicitors der Kanzlei Lyndales gerne zur Verfügung. Ihr Ansprechpartner in Deutschland ist Bernhard Schmeilzl, Rechtsanwalt & Master of Laws (Leicester, England), Telefon +49 (0) 941 – 463 7070.
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