Nachlassgericht: „Wo wohnt Dein Bruder?“ – Mandant: „Sag ich nicht!“

Kann das Nachlassgericht die Mitteilung von Anschriften weiterer Beteiligter im Erbscheinsverfahren erzwingen?

In zwei Konstellationen kommt es häufig vor, dass das Nachlassgericht nach den Namen und Anschriften von Verwandten des Erblassers frägt: Zum einen bei gesetzlicher Erbfolge und zum anderen, wenn ein (gesetzlicher oder testamentarisch benannter) Erbe die Erbschaft ausschlägt, weil der Nachlass überschuldet ist.

Im ersten Fall werden die dem Gericht bereits bekannten Beteiligten meist ein Interesse daran haben, dass auch alle weiteren potentiellen Miterben gefunden werden und bei der Abwicklung des Nachlasses mitwirken, sonst kommt ja keiner an sein Geld, zumindest nicht ohne größere juristische Verrenkungen (Nachlasspfleger für unbekannte Erben).

In der Konstellation Erbausschlagung sieht es aber oft anders aus, vor allem in internationalen Konstellationen. Wir bearbeiten viele deutsch-britische und deutsch-amerikanische Erbfälle. War der in Deutschland lebende Erblasser überschuldet, dann schlagen die Erben natürlich aus. Das geht aber nicht per einfachem Brief, sondern die Erklärung des Ausschlagenden gegenüber dem Nachlassgericht muss öffentlich beglaubigt sein. Im Ausland ist dies mit einigem Aufwand verbunden (Übersetzung, Reise, Beglaubigung, Apostille etc).

Oft passiert daher folgendes: Die Kinder und oder die Ehefrau des Erblassers schlagen in Deutschland aus. Damit wären nun die Eltern bzw. Geschwister des Verstorbenen an der Reihe, die in England oder USA wohnen. Denen muss man nun mühsam erklären, dass sie nach deutschem Erbrecht bei Untätigkeit irgendwann automatisch für die Schulden des Erblassers persönlich haften, ein Konzept, das Briten und US-Amerikanern völlig fremd ist (dort haftet nur des Estate für Schulden des Verstorbenen). Ferner muss man den Verwandten nun schonend beibringen, dass sie – um die persönliche Haftung zu vermeiden – nun innerhalb von sechs Monaten die Erbschaft (die sie nie wollten) aktiv ausschlagen müssen und dafür zu einer deutschen Botschaft oder zu einem geeigneten Notar im Ausland müssen, der ihre Unterschrift beglaubigt, ggf. mit Apostille versieht und nach Deutschland schickt. Das kostet natürlich Gebühren und Zeit. Oft sind die Verwandten auch selbst bereits hochbetagt und werden bei solchen juristischen Themen schnell nervös.

Kann das Nachlassgericht einen Beteiligten des Verfahrens mit Zwangsgeld dazu bringen, die Anschriften weiterer Familienangehöriger mitzuteilen?

Da liegt es nahe, dass die in Deutschland lebenden (nahen) Verwandten sich weigern, die Adressen der im Ausland lebenden (entfernteren) Verwandten dem Nachlassgericht preiszugeben, um die im Ausland lebenden Verwandten vor den lästigen Ausschlagungsformalitäten zu bewahren.

Geht das oder ist man gesetzlich verpflichtet, dem Nachlassgericht bei der Erbenermittlung zu helfen? Drohen rechtliche Konsequenzen, wenn man sich weigert, bekannte Anschriften mitzuteilen? Kann das Nachlassgericht ein Zwangsgeld nach § 35 FamFG verhängen?

Hierzu entschied kürzlich das Oberlandesgericht Karlsruhe (18. Mai 2016, Az. 11 W 41/16): Nein, für ein solches Zwangsgeld, um die Mitteilung von Adressen anderer Beteiligter durchzusetzen, gibt es keine Rechtsgrundlge.

Im Fall des OLG Karlsruhe ging es nicht um Erbausschlagung, sondern um die Adressen von Pflichtteilsberechtigten. Der Sohn der Erblasserin, der gleichzeitig ihr testamentarischer Alleinerbe war, wurde vom Nachlassgericht aufgefordert, die Anschriften seiner beiden Geschwister mitzuteilen, damit diese vom Gericht über das Verfahren und ihren Pflichtteilsanspruch informiert werden können. Als er dem nicht nachkommt, verhängt das Nachlassgericht ein Zwangsgeld von 250 Euro. Das OLG Karlsruhe hob den Zwangsgeldbescheid auf, weil es hierfür keine Rechtsgrundlage gibt.

Nachlassgericht muss selbst ermitteln

Das Nachlassgericht hat eine allgemeine Amtsermittlungspflicht, wonach es selber die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen von Amts wegen festzustellen hat. Auch muss ein Verfahrensbeteiligter bei der Ermittlung des Sachverhaltes generell mitwirken (z.B. Testamente abliefern, bei Grundbuchberichtigung mitwirken etc). Im Gesetz ist aber nicht explizit aufgeführt, dass Adressen anderer Verfahrensbeteiligter bekannt zu geben sind. Wenn dies nicht einmal für die Anschriften von Pflichtteilsberechtigten gilt, dann umso weniger für die Anschriften von nachrückenden gesetzlichen Erben nach einer Ausschlagung eines näheren Verwandten.

Wenn das Nachlassgericht die Anschriften der im Ausland lebenden gesetzlichen Erben nicht selbst recherchieren und die Mitteilung über den Erbanfall zustellen kann (in anglo-amerikanischen Ländern gibt es meist kein Einwohnermeldeamt), dann beginnt die 6-Monats-Frist nicht zu laufen.

Ideal ist das Ergebnis natürlich nicht, weil der Erbanfall dann jahrelang über den Köpfen der Verwandten schwebt und die Nachlassakte nicht geschlossen werden kann. Doch wenn die im Ausland lebenden entfernten Verwandten partout nicht belästigt werden wollen, dann passiert zumindest den schweigenden Beteiligten in Deutschland nicht viel.

Weitere allgemeine Informationen zu Erbrecht, Nachlassabwicklung und Erbschaftsteuer in Deutschland, UK und USA siehe:

Die 2003 gegründete Kanzlei Graf & Partner ist mit ihrer englischspachigen Prozessabteilung (GP Litigation) auf grenzüberschreitende Rechtsfälle spezialisiert, insbesondere auf deutsch-britische und deutsch-amerikanische Wirtschaftsstreitigkeiten, Scheidungen und internationale Erbfälle. Falls Sie bei einer anglo-amerikanischen Rechtsangelegenheit Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die Anwälte der Kanzlei Graf & Partner mit ihrem internationalen Netzwerk gerne zur Verfügung. In den meisten großen US-Bundesstaaten verfügen wir über gute persönliche Kontakte zu Attorneys-at-Law in mittelgroßen Kanzleien. Ihr Ansprechpartner in Deutschland ist Bernhard Schmeilzl, Rechtsanwalt & Master of Laws (Leicester, England), Telefon +49 (0) 941 – 463 7070.