Checkliste: So reicht man in England eine Klage ein („how to issue a claim“)

Überblick

Scheitern vorprozessuale Einigungsversuche zwischen Streitparteien (auf die das Recht von England & Wales anwendbar ist) und will der Kläger seinen Anspruch auch nach Austausch der Argumente in der nach englischer Zivilprozessordnung zwingend nötigen pre-action correspondence immer noch geltend machen, kann und muss er formell Klage zu einem englischen Zivilgericht (County Court oder High Court) einreichen, was von englischen Prozessanwälten als „to commence proceedings“ oder „to bring proceedings against…“ oder „to file a claim“ bezeichnet wird.

Die Zivilklage in England wird gemäß CPR Part 7 (www.justice.gov.uk/courts/procedure-rules/civil/rules/part07) erhoben, indem der Kläger bzw. dessen Solicitor (Anwalt) das richtige (!) offizielle Klageformular (claim form) auswählt, dieses ausfüllt und – zusammen mit der Gerichtsgebühr – beim zuständigen Gericht (!) einreicht, damit das Gericht das Klageformular mit dem Gerichtsstempel versieht (to issue the claim).

Dieses mit dem official court seal versehene claim form muss der Kläger (nicht das Gericht) dann innerhalb von vier Monaten formell an den Beklagten zustellen, in der Regel zusammen mit der ausführlichen Klagebegründung (particulars of claim).

Klageformulare (claim forms)

Für die meisten Zivilklagen in England und Wales außerhalb des Wirtschafts- oder Technologie-/Baurechts ist das fünfseitige Standardformular N1 claim form einschlägig. Für bestimmte Klagen existieren dagegen spezielle Klageformulare (specialized claim forms). Von besonderer Bedeutung ist Formular N1(CC) für Klagen zum Commercial Court (King’s Bench Division) bzw. zum Technology and Construction Court.

Einreichung der Klage bei Gericht und Zahlung der Gerichtsgebühr

Das ausgefüllte und unterzeichnete claim form wird – in der Regel zusammen mit den particulars of claim (Klagebegründung) – sodann in mehrfacher Ausfertigung (eine für den Kläger selbst, eine für das Gericht und eine für jeden Beklagten) bei der Geschäftsstelle (court office) des zuständigen Gerichts eingereicht.

Gleichzeitig mit Einreichung der claim form muss die Klagepartei nun auch die erste von mehreren Gerichtsgebühren zahlen, nämlich die als „filing fee“ bezeichnete Gebühr für die Einleitung des Verfahrens, Civil Proceedings Fees (Amendment) Order 2014 (CPFO), schedule 1, Ziffer 1.

Hat der Kläger alle Formalitäten erfüllt und die Gerichtskosten bezahlt, versieht das Gericht die Ausfertigungen des claim form mit dem court seal, vergibt ein Aktenzeichen („allocate a claim number“), trägt die Klage ins gerichtsinterne System ein („enter details of claim into the court records“), behält die für das Gericht bestimmte Ausfertigung ein und schickt dem Kläger die für die Beklagtenseite vorgesehene/n Ausfertigung/en zu. Dieser Vorgang wird als „issuing a claim“ oder „issuing a claim form“ bezeichnet, übersetzt also „das Erteilen / Herausgeben der Klage“ durch das Gericht.

Dies ist relevant für die Unterbrechung der Verjährung. Hat ein Anspruchsberechtigter vor Ablauf der Verjährung nicht entweder einen „issue of claim“ oder ein „standstil agreement“ bewirkt, ist sein Anspruch „time barred“.

Zustellung an die Beklagtenseite

Zustellung (service) an den Prozessgegner erfolgt in England in der Praxis meist im Parteibetrieb, obwohl sich CPR r 6.4(1) zunächst anders liest. Dort steht nämlich:

“The court will serve the claim form except where …”

Diese Norm bezieht sich aber nur auf die claim form, alle späteren Schriftsätze und Dokumente (disclosure!) müssen sich die Parteien ohnehin wechselseitig direkt im Parteibetrieb zustellen. Die Gerichte delegieren aber selbst die Zustellung der claim form häufig bereits an die Parteien und die Parteivertreter (solicitors) wollen das meist auch so, denn sie möchten das Zustellprozedere aus Zeit- und Kontrollgründen selbst in der Hand haben, statt sich auf das Gericht verlassen zu müssen.

Nach CPR r 7.5 hat der Kläger für die formelle Zustellung (effecting service) vier Monate Zeit („period of validity“), gerechnet ab dem „issue of claim“ Datum. Befindet sich der Prozessgegner außerhalb der Jurisdiktion von England und Wales, beträgt die Frist sechs Monate.

Neben der mit dem Gerichtssiegel versehenen claim form und den particulars of claim, muss der Kläger dem/jedem Beklagten auch ein sog. „response pack“ mit zustellen, also ein „Paket mit Antwortformularen“. In Standardfällen besteht dieses response pack aus:

  • Formular N9: Deckblatt und Empfangsbestätigung (acknowledgement of service), und
  • Formular N9A oder N9C: Anerkenntnis des Klageanspruchs (admission), und
  • Formular N9B oder N9D: Formular für Verteidigung gegen Anspruch und ggf. Widerklage

Ein sehr praxisrelevantes Problem – vor allem in internationalen Fällen – besteht darin, wem („who is to serve“) mit welcher Methode („mode of service“) rechtswirksam zugestellt werden darf. Part 6 der Civil Procedure Rules beschäftigt sich in 52 Paragrafen (29 DinA4-Seiten) mit dem Thema „Service of documents“. Hinzu kommen die zwei Practice Directions 6A „Service within the UK” und 6B “Service out of the jurisdiction”. Man kann hier sehr einfach einen formellen Fehler begehen, der einen bei der Klage um Monate zurückwirft, im schlimmsten Fall sogar zur Folge hat, dass der Klageanspruch nach dem englischen Recht verjährt ist.


DER TEXT IST EIN GEKÜRZTER AUSZUG AUS DEM PRAXISHANDBUCH „DER ZIVILPROZESS IN ENGLAND“, KAPITEL „DIE PHASEN DES ZIVILPROZESSES: KLAGEERHEBUNG“.

Rechtsanwalt Bernhard Schmeilzl, Master of Laws, ist Experte für deutsch-englisches Prozessrecht sowie internationales Erbrecht. Er berät und vertritt deutsche Unternehmen und wohlhabende Privatpersonen in grenzüberschreitenden Rechtsfällen, insbesondere bei deutsch-britischen Wirtschaftsstreitigkeiten, Scheidungen, komplexen Erbfällen und internationalen Gerichtsverfahren. Er ist Autor des im Winter 2023/2024 erscheinenden Praxishandbuchs Der Zivilprozess in England

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Die 2003 gegründete Kanzlei Graf & Partner ist mit ihrer Abteilung für britisch-deutsche Prozessführung (GP Litigation) auf grenzüberschreitende Rechtsfälle spezialisiert, insbesondere auf deutsch-britische Wirtschaftsstreitigkeiten, Scheidungen und Erbfälle. Rechtsanwalt Schmeilzl ist Experte für Rechtsvergleichung, für deutsch-englisches sowie deutsch-amerikanisches Prozessrecht sowie Erbrecht und agiert auch in vielen Fällen als Nachlassabwickler (Executors & Administrators) für deutsch-britische oder deutsch-amerikanische Erbfälle.

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