Das Tatbestandsmerkmal „herumwurschteln“ im englischen Erbrecht

Wie lange kann ein englischer Testamentsvollstrecker das Amt ablehnen bzw. niederlegen? Etwa weil ihm die Sache über den Kopf wächst?

Die zentrale Person bei der Abwicklung des Nachlasses in England und den USA ist nicht (wie in Deutschland) der Erbe selbst, sondern der sogenannte „Personal Representative“, also der „persönliche Stellvertreter“ des Verstorbenen. Wenn dieser vom Testator im Testament ausdrücklich benannt ist, dann nennt man ihn „Executor“ bzw. „Executrix“. Gibt es kein Testament oder benennt das Testament keinen Executor (was häufig vorkommt, wenn Deutsche mit Vermögen in UK ihr Testament erstellen), dann heißt der Personal Representative nicht Executor sondern Administrator. Die englische Nachlassabwicklung ähnelt also viel mehr dem österreichischen Erbrecht (mit Verlassenschaftskurator und Einantwortungsbeschluss) als dem deutschen Erbrecht (mit Direkterwerb und Universalsukzession).

Nun hat der im Testament benannte Executor aber vielleicht gar keine Lust auf das Amt. Je nachdem, wie gut der Verstorbene organisiert war, kann das nämlich in sehr viel Arbeit ausarten: Man muss alle Unterlagen sichten, mit Behörden, Versicherungen und Banken korrespondieren, Rechnungen zahlen, die englischen Steuererklärungen abgeben (sowohl Einkommensteuer als auch Erbschaftssteuer), den Antrag auf Erteilung des englischen Nachlasszeugnisses stellen (application for probate), eine Zeitungsanzeige in der London Gazette schalten, um die Haftung gegenüber Gläubigern auf die Erbmasse zu begrenzen und vor allem muss der Executor den Nachlass liquidieren (zu Geld machen), also Immobilien verkaufen, Aktiendepots auflösen und vieles mehr, um den Erlös dann an die Begünstigten (die beneficiaries) zu verteilen.

All das kann, muss aber nicht unbedingt Spaß machen. Papierkrieg ist nicht jedermanns Sache. Manche Nachlassanwicklungen ziehen sich über Jahre. Wenn dann auch noch die Beneficiaries auf Auszahlung drängeln, alles besser wissen und ständig Sachstandsauskunft verlangen, dann bereut so mancher Executor, sich überhaupt für diese Tätigkeit der Nachlassabwicklung zur Verfügung gestellt zu haben.

Aber das ist ja kein Problem, denn man kann das Amt ja jederzeit ablehnen oder auch später wieder niederlegen, richtig?

Falsch! Hat ein Executor das Amt erst einmal übernommen, wird er oder sie es prinzipiell nicht mehr los, zumindest nicht ohne sehr guten Grund. Man sollte sich daher nicht leichtfertig zum Executor oder zur Executrix machen lassen. Er oder sie haftet nämlich zum Beispiel auch persönlich für Erbschaftsteuern und unter Umständen sogar für die Zahlung von Gläubigerverbindlichkeiten. Das Amt des Executors muss man also rechtzeitig und formell richtig ausschlagen (zu den Formalia siehe hier).

Ab wann ist man aber nun „offiziell“ der Nachlassabwickler nach englischem Recht? Das zentrale Tatbestandsmerkmal im englischen Erbrecht ist hier das sogenannte „intermeddling with the estate„.  Laut Englischlexikon bedeutet „to meddle“ einmischen, herumpfuschen oder eben „herumwurschteln“ (ja das Wort existiert laut Duden, sowohl mit „sch“ als auch mit „s“). Eine etwas förmlichere Umschreibung für „to intermeddle“ ist „to take any steps in the estate administration“.

Muster eines englischen Erbscheins / Nachlasszeugnisses (Grant of Probate)

 

Jemand, der im englischen Testament zu Executor berufen ist, wird rechtlich also gerade nicht erst dann zum Executor, wenn er das Nachlasszeugnis (Grant of Probate, siehe Bild) für sich beantragt und darin vom High Court offiziell zum Executor bestellt wird, sondern bereits durch tatsächliches Handeln, ähnlich der konkludenten Annahme einer Erbschaft im deutschen Recht (Details dazu hier).

Hier gibt es viele Parallelen. Ist es zum Beispiel bereits ein „intermeddling“ wenn der im Last Will als Executor Benannte eine überfällige Rechnung bezahlt? Nun, zumindest ist das nicht ungefährlich und man sollte es möglichst bleiben lassen oder zumindest ausdrücklich klarstellen, also dem Gläubiger konkret schreiben, dass man die Zahlung nur vornimmt, um weitere Kosten zu vermeiden und dadurch ausdrücklich (noch) nicht das Nachlassabwickleramt annimmt.

Kommt man später wieder raus? Kann man einen Executor absetzen lassen?

Auch die spätere Niederlegung des Executor-Amts ist sehr schwierig und – wenn überhaupt – nur im allseitigen Einvernehmen möglich und sinnvoll. Es gilt der Grundsatz: „If you started it, you have to finish it!“

In unserer Kanzlei haben wir nicht selten den Fall, dass ein Executor untätig ist oder viel zu langsam arbeitet. Theoretisch kann man ihn oder sie dann vom Gericht absetzen und durch einen vom Gericht bestellten Estate Administrator ersetzen lassen. In der Praxis funktioniert das kaum. Stattdessen muss man den Executor in solchen Fällen über das Gericht etwas unter Druck setzen. Auch das ist aber leichter gesagt als getan, weil Gerichtsverfahren in UK im Vergleich zu Deutschland aberwitzig teuer und schwerfällig sind.

Was also tun, wenn der Executor nicht weiter weiß?

Selbstverständlich kann sich ein Executor jederzeit durch einen Anwalt oder Steuerberater unterstützen lassen bzw. Aufgaben delegieren. Die angemessenen Kosten hierfür darf der Executor auch aus dem Nachlassvermögen zahlen, sofern das englische Testament hierzu nichts Gegenteiliges anordnet.

Wir übernehmen solche Tätigkeiten in deutsch-britischen und österreichisch-britischen Erbfällen andauernd und haben viel praktische Erfahrung, vor allem in internationalen Steuerangelegenheiten. In etlichen Fällen agieren wir sogar von Anfang an als Stellvertreter des Executors, lassen also das Nachlasszeugnis gleich auf einen Rechtsanwalt unserer Kanzlei direkt ausstellen (siehe Bild oben), was bei der späteren Abwicklung das dauernde Vorlegen von Vollmachten erspart.

Wer also das Executoramt übernommen hat und erst später merkt, was er oder sie sich damit eingehandelt hat: Keine Panik, wir beraten und unterstützen gerne. Weitere rechtliche Hintergründe und praktische Tipps rund um das Thema Estate Administration und Executorship finden sich auch auf der Website der London Gazette (vergleichbar dem deutschen Bundesanzeiger).

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Falls Sie bei einer anglo-amerikanischen Rechtsangelegenheit sowie in Fragen zur internationalen Erbschaftsteuer Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die Anwälte der Kanzlei Graf & Partner mit ihrem internationalen Netzwerk in Europa sowie im außereuropäischen englischsprachigen Rechtsraum gerne zur Verfügung. In UK, Kanada sowie den meisten großen US-Bundesstaaten verfügen wir über gute persönliche Kontakte zu Attorneys-at-Law in mittelgroßen Kanzleien.

Weitere Infos zum internationalen Erbrecht und zur Erbschaftsteuer in Deutschland, UK, USA und anderen Ländern:

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