Leitfaden für die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen in Großbritannien (UK)

Zwischen Deutschland und Großbritannien bestehen die intensivsten Wirtschaftsbeziehungen innerhalb der gesamten EU. Das bedeutet, dass zehntausende britische Expats in Deutschland arbeiten und umgekehrt. In NRW und Niedersachsen sind zudem noch rund 40.000 Briten als Streitkräfte stationiert. Bei diesen Expats und Soldaten sind ab und an auch die Hormone im Einsatz: Es werden deutsche Partner geheiratet und Kinder gezeugt. Manchmal lässt dann irgendwann die Liebe nach und es kommt vor, dass der britische Ehegatte bzw. Vater wieder auf die Insel geht, der deutsche (Ex-)Partner und die Kinder aber hier bleiben. Mühsam wird es, wenn in diesen Konstellationen der Unterhaltsschuldner in UK nicht freiwillig zahlt. Erste Infos als Einstieg zum Thema hier.

Der folgende Leitfaden erklärt die rechtlichen Rahmenbedingungen und gibt Tipps, wie man in der Praxis am bestehen vorgeht. Im Unterschied zur Zwangsvollstreckung „normaler“ Forderungen (dazu hier), gelten bei Unterhaltsansprüchen viele Besonderheiten.

1. Phase:  Wie bekommt man einen Unterhaltstitel?

Ausgangspunkt ist ein Unterhaltsanspruch des Kindes oder des (ggf. bereits geschiedenen) Ehegatten sowie der Umstand, dass Unterhaltsverpflichtete seiner Unterhaltsverpflichtung nicht freiwillig nachkommt. Als erstes stellt sich die Frage, welches Gericht zuständig ist. Wo kann man den Unterhaltsanspruch „titulieren“ lassen? Titel nennen die Juristen die formelle Bestätigung eines Anspruchs (also ein Urteil, einen Vergleich, einen notariellen Vertrag etc.), auf dessen Basis dann vollstreckt werden kann. Bei diesem Verfahren muss man von Anfang an im Auge behalten, dass der Anspruch im Vereinigten Königreich vollstreckt werden muss, der Titel also dort anerkannt werden muss.

Vor welchem Gericht muss bzw. soll geklagt werden?

In der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 vom 18.12.2008 (EuUnthVO) hat der europäische Verordnungsgeber Regelungen geschaffen, die die Zuständigkeit deutscher Gerichte in Unterhaltssachen festsetzt. Hiernach sind deutsche Gerichte zuständig, wenn entweder der Unterhaltsverpflichtete oder der Unterhaltsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat (Art. 3 a, b EuUnthVO). Es besteht also ein Wahlrecht, ob man lieber vor einem deutschen oder einem englischen Gericht ein unterhaltsrechtliches Verfahren einleiten möchte. Außerdem kann sich eine Zuständigkeit deutscher Gerichte ergeben aus einer Gerichtsstandsvereinbarung (Art. 4 EuUnthVO) oder im Falle, dass der Unterhaltsschuldner sich freiwillig auf das Verfahren vor einem deutschen Gericht einlässt (Art. 5 EuUnthVO), ergeben.

Bei der Auswahl des Gerichtes stellt sich die weitere Frage, wo das Verfahren am effektivsten durchgeführt werden kann. Hier sind vor allem praktische Erwägungen wie gewohnte Wege, Sprache und ähnliches von Bedeutung. Zentral ist ebenso die Anerkennung der Entscheidung des deutschen Gerichts in England (hierzu unten im Detail).

Auch wenn es auf den ersten Blick angenehmer und einfacher aussieht, in Deutschland zu klagen: Es kann manchmal sinnvoller und schneller sein, den Unterhaltsanspruch gleich in UK geltend zu machen, weil die anschließende Vollstreckung dann unkomplizierter ist. Allerdings muss man auch bedenken, dass ein englisches Gericht in diesen Konstellationen (zumindest theoretisch) deutsches Unterhaltsrecht anwenden muss, da die Entscheidung über das anzuwendende Recht regelmäßig an den gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten, nämlich Deutschland, anknüpft.

Wichtig ist natürlich auch, ob der Schuldner Vermögen nur in UK hat oder vielleicht auch in Deutschland.

Ob man sich also an das deutsche Familiengericht am Wohnort des Unterhaltsberechtigten wendet oder an das englische Gericht ist eine wichtige taktische Frage, die man mit seinem Anwalt besprechen sollte.

Welches Recht gilt?

Dies regelt das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen vom 02.10.1973. Nach Art. 4 Abs. 1 des Übereinkommens gilt das Unterhaltsrecht desjenigen Staates, in dessen Gebiet der Unterhaltsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Danach findet auf ein in Deutschland lebendes Kind oder einen in Deutschland lebenden Ehegatten regelmäßig deutsches Unterhaltsrecht nach dem BGB Anwendung. Ausnahmen von diesem Grundsatz für spezielle Fälle sieht das Haager Übereinkommen von 1973 in den Vorschriften der Art. 5, Art. 6, Art. 7 und Art. 15 vor.

Wie hoch ist der Unterhaltsanspruch?

Sowohl für die Dauer, als auch die Art und die Höhe der Unterhaltsleistung gilt deutsches Recht. Berücksichtigung finden bei der Bemessung der Unterhaltshöhe die Bedürfnisse des Berechtigten und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verpflichteten, Art. 11 Abs. 2  des Haager Übereinkommens vom 02.10.1973.

Die Lebensstandards in England und Deutschland werden bei der Bemessung des Unterhalts als ähnlich angesehen. Die Gerichte werden also die Unterhaltshöhe kaum deswegen anpassen, weil der Unterhaltsverpflichtete in England lebt.

Ermittlung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Unterhaltspflichtigen?

Die englische Zentrale Behörde ist nach der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 vom 18.12.2008 (EuUnthVO) verpflichtet, alle angemessenen Maßnahmen zu treffen, um die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unterhaltspflichtigen zu ermitteln. Hier kann ein entsprechendes Ersuchen gestellt werden.

Was wenn der Unterhaltsverpflichtete die Abstammung des Kindes bezweifelt?

Dann muss natürlich erst einmal die Vaterschaft (Mütter bestreiten ihre Mutterschaft eher selten) gerichtlich festgestellt werden. Nach Art. 19 Abs. 1 EGBGB ist die Abstammungsfrage nach dem Recht des gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes zu klären. Neben dem deutschen Recht kommt jedoch für die Feststellung der Abstammung auch das Heimatrecht des Unterhaltsverpflichteten sowie bei verheirateten Müttern eine Feststellung der Abstammung nach Art. 14 Abs. 1 EGBGB in Betracht. Bei Abstammungsfragen in Bezug auf den Kindesunterhalt wird in der Praxis aber stets die für das Kind günstigste Lösung angewendet.

Wer kann im Unterhaltsverfahren klagen?

Die sog. Klageberechtigung richtet sich nach dem Recht, das auch auf den Unterhalt selbst anzuwenden ist, also bei einem in Deutschland lebenden Kind nach deutschem Recht: § 1629 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 BGB.

Weitere Besonderheiten im Unterhaltsverfahren?

Vor deutschen Familiengerichten besteht regelmäßig die Möglichkeit entweder dynamisierte Unterhaltstitel oder Festbetragstitel zu erwirken. Erstere bieten die Möglichkeit, die Höhe des Unterhaltsanspruchs an die Betragserhöhung nach deutschem Recht automatisch anzupassen, ohne dass es einer erneuten Titulierung mit entsprechendem Unterhaltsverfahren bedarf. Englische Gerichte akzeptieren solche dynamische Unterhaltstitel aber häufig nicht. Sie werden von den dortigen Gerichtsbehörden zwar als solche registriert. Jedoch erfolgt die Erhöhung der Unterhaltsbeträge nicht automatisch, sondern nur nach umfangreichen Erläuterungen. Unter Umständen lehnen die englischen Gerichtsbehörden eine Erhöhung trotz gegenläufigen deutschem Unterhaltsrecht ab, da sie aus technischen Gründen konkrete Unterhaltbeträge zur Registrierung benötigen. Daher muss man bei der Geltendmachung deutscher dynamisierter Unterhaltstitel regelmäßig mit einem erhöhten Erklärungsaufwand und mit Zeitverzögerung rechnen. Der deutsche Gesetzgeber hat mit § 245 FamFG nun eine Möglichkeit geschaffen, dynamisierte Unterhaltstitel beziffern zu können, wenn sie im Ausland vollstreckt werden sollen. Welche Art der Titulierung am effektivsten ist, sollte man mit seinem Anwalt besprechen.

Unterhaltstitel für minderjährige Kinder, die keine Befristung auf das 18. Lebensjahr enthalten, werden in England oft problematisch gesehen. Englische Gerichte befristen diese Titel häufig fiktiv bis zum Alter der Volljährigkeit des Kindes. Eine Fortschreibung der Unterhaltsverpflichtung ist jedoch nach Vorlage von Schul- und Ausbildungsnachweisen möglich.

Unterhaltsrückstände sollten im Titel ausdrücklich als „Unterhalt für die Vergangenheit“ bezeichnet werden, ansonsten kann es auch hier bei der Durchsetzung in England Schwierigkeiten geben. So haben englische Gerichte die Möglichkeit, Rückstände, die älter als zwei Jahre seit Antragsstellung sind, von der Vollstreckung auszunehmen. Diese Rückstände werden dann im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens gerichtlich erlassen und können in England nicht mehr durchgesetzt werden.

 2. Phase: Wie kommt man vom Unterhaltstitel zum Geld?

Liegt ein deutscher Unterhaltstitel vor und leistet der Unterhaltsverpflichtete trotzdem immer noch nicht nicht freiwillig, muss der Unterhaltsanspruch in England zwangsvollstreckt werden. Vorher lohnt es sich aber, noch einmal intensiv darüber nachzudenken, ob der Unterhaltsschuldner nicht doch noch irgendwelches Vermögen in Deutschland haben könnte, z.B. Bankguthaben, Steuerrückerstattungsansprüche, Restlohn. Dieses in Deutschland belegene Vermögen kann und sollte man dann natürlich sofort pfänden. Ansonsten bleibt nichts anderes übrig, als den Schauplatz nach UK zu verlegen.

Wie läuft das Verfahren ab? 

Um aus einem deutschen Unterhaltstitel in England vollstrecken zu können, muss dessen Wirkung auf England erstreckt werden. Dies erfolgt durch die sogenannte Registrierung. Hierzu braucht man eine vollstreckbare Ausfertigung des deutschen Unterhaltstitels, der in England anerkannt und für vollstreckbar erklärt  werden muss.

Eine Ausnahme hiervon besteht, wenn man bereits einen europäischen Vollstreckungstitel hat. Damit kann man direkt zwangsvollstrecken, Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (EuVTVO).
Eine Anerkennung als europäischer Vollstreckungstitel kommt jedoch nur in Betracht, wenn der Unterhaltstitel nach dem 21.01.2005 ergangen ist und es sich um eine unbestrittene Forderung handelt. Hierbei handelt es sich um ein Versäumnisurteil, ein Vergleich oder eine Jugendamtsurkunde. In diesem Zusammenhang ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Zustellungsvorschriften der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher  Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen bzw. seit 13.11.2008 nach der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher  Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen, eingehalten wurden.

Der europäische Vollstreckungstitel wird danach auf die gleiche Weise vollstreckt wie eine in England ergangene Entscheidung. Bei den übrigen, „normalen“ Unterhaltstiteln sind für das Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckbarerklärung die Vorschriften der Art. 32 ff. der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen (EuGVO) anzuwenden.

Zunächst muss ein Antrag auf Zulassung des Unterhaltstitels zur Zwangsvollstreckung bei einer zentralen englischen Verwaltungsbehörde, der REMO (Reciprocal Enforcement of Maintenance Orders) gestellt werden (Art. 39 EuGVO). Diese leitet dann den Antrag an das örtlich zuständige Gericht am Wohnort des Unterhaltsschuldners weiter. Anschließend erklärt das englische Gericht die Zulassung des Titels zur Zwangsvollstreckung und registriert den deutschen Unterhaltstitel.

In der Folge informiert das englische Gericht den Unterhaltsverpflichteten von der Registrierung und fordert ihn zur freiwilligen Leistung des Unterhalts auf.

In dieser Phase tauchen erfahrungsgemäß Probleme bei der Zustellung der Registrierungsentscheidung des englischen Gerichts auf, wenn der Unterhaltsverpflichtete am angegebenen Wohnsitz nicht zu ermitteln ist. Das Gericht wird dann in aller Regel um Mitteilung der aktuellen Anschrift bitten. Die Ermittlung der neuen Anschrift ist bisher in England sehr schwierig, nachdem kein polizeiliches Meldewesen existiert. Allerdings ist durch die Verordnung (EG) Nr. 4/2009 vom 18.12.2008 (EuUnthVO) eine Verbesserung der Situation zu erwarten. Hierin werden nicht zuletzt auch die englischen Behörden verpflichtet, angemessene Maßnahmen zu treffen, um bei der Aufenthaltsermittlung des Unterhaltsschuldners behilflich zu sein. Weiterhin besteht die Möglichkeit, eine lokale Auskunftei oder Detektei einzuschalten. Die Kosten für derartige Ermittlungen belaufen sich auf durchschnittlich GBP 125,00 netto. Eine vorherige Absprache über die Vergütung ist jedoch empfehlenswert.

Kommt der Unterhaltsverpflichtete dieser Aufforderung nicht nach, schließt sich das Zwangsvollstreckungsverfahren an. Dieses besteht zunächst aus einer gerichtlichen Anhörung des Unterhaltsverpflichteten, sodann bei weiterer Verweigerung der Zahlung aus konkreten Vollstreckungsmaßnahmen (z.B. Lohnpfändung oder Sachpfändung). Das Vollstreckungsverfahren richtet sich nach dem englischen Zwangsvollstreckungsrecht.

Eine Einschaltung eines Rechtsanwaltes vor Ort ist nicht notwendig, jedoch zweckmäßig, da dieser auf einen reichlichen Erfahrungsschatz im englischen Zwangsvollstreckungsrecht zurückgreifen kann. Mit diesem kann dann das effektivste Vorgehen abgesprochen werden.

Welche Kosten entstehen für das Verfahren?

Das Gerichtsverfahren zur Geltendmachung von Kindesunterhalt ist für die Unterhaltsberechtigten in England kostenfrei. Ohne Anwalt wird es aber häufig faktisch schwierig. Neben den Anwaltsgebühren entstehen häufig erhebliche Kosten  für Übersetzungen und Beglaubigungen.

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