Besonderheiten des britischen Erbscheinsverfahrens wenn minderjährige Erben beteiligt sind

Nach englischem Erbrecht wickelt den Nachlass ein sogenannter Personal Representative ab. Ist in einem Testament ausdrücklich bestimmt, wer diese Aufgabe übernehmen sol, nennt man den Personal Representative „Executor“ bzw. „Executrix“. Starb der Erblasser ohne ein Testament zu hinterlassen oder ist im Testament kein Executor benannt (was bei deutschen Erblassern mit Vermögen in England oft der Fall ist, weil diese nur den Erben bestimmen), dann heißt der Personal Representative „Administrator“. Die Aufgaben von Executor und Administrator sind aber identisch: Er oder sie wickelt den Nachlass ab, d.h. bezahlt Verbindlichkeiten und Steuern, verkauft Immobilien und andere Vermögenswerte im Nachlass, erfüllt Vermächtnisse (Legacies) und verteilt am Ende das verbleibende Nachlassvermögen (Residuary Estate) an den oder die Begünstigte(n). Es sei denn, es ist eine dauerhafte Nachlassverwaltung (Estate Administration) oder ein Trust angeordnet, was im anglo-amerikanischen Erbrecht häufig vorkommt und weitere Komplikationen mit sich bringt, vor allem im Steuerrecht (Details zu den Kompetenzen eines Executors und Trustees).

Schutzvorschriften bei minderjährigen Begünstigten

Wenn die Person, an die das englische Nachlassgericht (Probate Registry) das Nachlasszeugnis erteilen würde, selbst noch minderjährig ist, greifen besondere Schutzvorschriften des englischen Nachlassverfahrensrechts. Section 32 der englischen „Non-Contentious Probate Rules 1987„, vergleichbar dem deutschen FamFG, ordnet zum Schutz des nicht volljährigen (Mit-)Erben in England (nicht Schottland!) an:

Section 32 – Grants on behalf of minors

(1) Where a person to whom a grant would otherwise be made is a minor, administration for his use and benefit, limited until he attains the age of eighteen years, shall, unless otherwise directed, and subject to paragraph (2) of this rule, be granted to the parents of the minor jointly, or to the statutory or testamentary guardian, or to any guardian appointed by a court of competent jurisdiction; (…)

(2) …

(3) Where there is only one person competent and willing to take a grant under the foregoing provisions of this rule, such person may, unless a registrar otherwise directs, nominate any fit and proper person to act jointly with him in taking the grant.

Vereinfacht bedeuten diese Nachlassverfahrensvorschriften, dass der minderjährige Begünstigte in einem englischen Nachlassfall stets von mindestens zwei Personen vertreten werden muss. Im Regelfall sind das die Eltern. Wenn aber nur ein Sorgeberechtigter existiert, muss eine zweite Person hinzu optiert werden. Nach Abs. 3 der Vorschrift kann der alleinige Sorgeberechtigte hier selbst eine geeignete zweite Person vorschlagen.

Was muss man beim Antrag auf den englischen Erbschein beachten?

In der Praxis bedeutet dies: Wenn wir als Anwaltskanzlei einen minderjährigen (Mit-)Erben vertreten, der an einer Erbschaft in England beteiligt ist, müssen mindestens zwei Personen den englischen Erbschein (genauer gesagt Nachlasszeugnis) beantragen und damit auch den nötigen Eid (Oath) abgeben. Das erhöht den Aufwand und damit auch die Kosten, ist aber leider unvermeidlich, weil andernfalls das englische Nachlassgericht selbst einen zweiten Ececutor / Administrator bestellt, was noch erheblich teurer kommt. Solche Fälle bergen für den Erbrechtsanwalt ohnehin ein erhöhtes Haftungsrisiko, weil die Erbschaft für den Minderjährigen mündelsicher angelegt bzw. verwaltet werden muss.

Für die Testamentsgestaltung bei Vermögen in Großbritannien bedeutet dies, dass möglichst ausdrücklich zwei Executors bestimmt werden sollten, wenn minderjährige Erben vorhanden sind.

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Falls Sie bei einer anglo-amerikanischen Rechtsangelegenheit Unterstützung benötigen, stehen Ihnen die Anwälte der Kanzlei Graf & Partner mit ihrem internationalen Netzwerk in Europa sowie im außereuropäischen englischsprachigen Rechtsraum gerne zur Verfügung. In UK, Kanada sowie den meisten großen US-Bundesstaaten verfügen wir über gute persönliche Kontakte zu Attorneys-at-Law in mittelgroßen Kanzleien. Mit diesen USA-Anwälten arbeiten wir auch bei deutsch-amerikanischen Gerichtsprozessen intensiv zusammen (siehe unser Blog zum deutsch-amerikanischen Prozessrecht „German Civil Procedure„).

Wir arbeiten bei der Erstellung von Testamenten seit Jahren mit Fragebögen und Checklisten. Besonders wichtig sind diese für internationale Fallkonstellationen. Wer sich bei der Testamentsgestaltung beraten lassen möchte, findet diese Mandantenfragebögen auf der Kanzleiwebsite in deutscher und englischer Fassung hier:

Weitere Informationen finden sich auch in unseren beiden Broschüren zum deutschen und internationalen Erbrecht:

Weitere Infos zum internationalen Erbrecht und zur Erbschaftsteuer in Deutschland, UK, USA und anderen Ländern: